: Zum Star in acht Semestern
With a little help from Liverpool: An Paul McCartneys „Popuniversität“ wird Star-Sein zum Lehrberuf. Vermittelt wird „kulturelle Realpolitik“ ■ Von Jörg Plath
„Gestern hat mich ein Arbeiter gefragt, warum ich so bescheuert bin und in Liverpool studiere“, lacht Volker Schuster. Heute frage ich ihn, und dieses Mal beantwortet der 27jährige Hamburger Musiker die Frage: „Weil ich ein Star werden möchte!“
Die Aussichten sind für einen Studenten des „Liverpool Institute for Performing Arts“ (Lipa) nicht allzuschlecht. Gegründet hat die neueste und ungewöhnlichste Privatuniversität Liverpools nämlich Exbeatle Paul McCartney. Eine Million englische Pfund spendete er selbst, weitere 14 Millionen sammelte er bei Bossen der Unterhaltungsindustrie, Londoner Lotteriechefs und Brüsseler Europabeamten ein. Selbst die Queen soll sich dem Ansinnen nicht verschlossen haben, und ein wenig verspätet konnte der Altmeister Ende Januar seine „Popuniversität“ eröffnen.
Am „Institut für die darstellenden Künste“ in der alten Beatles- Stadt sollen einmal 600 StudentInnen Musik, Tanz, Schauspiel, Kulturmanagement, Community Arts (etwa: künstlerische Sozialarbeit) und Aufführungsdesign studieren; zur Zeit sind es knapp 200. Sie dürfen hoffen, einmal Kurse bei Paul McCartney, Joan Armatrading, Mark Knopfler oder weniger bekannten Tänzern und Schauspielern belegen, die zu den Unterstützern von Lipa zählen. „Unsere Studenten sollen sich natürlich in ihrem künstlerischen Fach ausbilden“, sagt Paul Kleinman, der die Aufführungsdesigner ausbildet. „Aber sie sollen auch genügend Wissen über die Unterhaltungsindustrie als ganzes erwerben, so daß sie im knallharten Showgeschäft Karriere machen können.“
Unverblümter heißt es im prächtigen Katalog der Privatuniversität, die AbsolventInnen sollen den Bedürfnissen der Unterhaltungsindustrie entsprechen, einer der wichtigsten Exportbranchen Englands. Weitere Spuren hat die Kooperation von Unternehmen und Staat, jahrelang gepriesen von Maggie Thatcher, im Lipa-Gebäude hinterlassen: Der Namenszug des größten Sponsors Grundig prangt auf einigen Türen. Seltsam nur, daß gerade akademische Ehren den Weg zum Ruhm als Popmusiker oder Tänzer ebnen sollen. Dringender braucht wohl Lipa das Recht, den Universitätsabschluß zu verleihen: Denn es verschafft Prestige und Zugang zu einigen (auch europäischen) Geldtöpfen.
Die Unterrichtsinhalte – künstlerische Ausbildung, Technik, Geschichte der darstellenden Künste, Zeitmanagement, Streßbewältigung, wirtschaftliche Kenntnisse des Showgeschäfts und anderes mehr – zeigen denn auch den Spagat zwischen Theorie und Praxis. Am Ende des ersten Studienjahres haben sich die StudentInnen jedenfalls einer recht moderaten Herausforderung zu stellen: Abverlangt wird ihnen ein Aufsatz mit 2.000 Worten.
Wer einen Blick in die Bibliothek wirft, Ressourcenzentrum genannt, gewinnt schon jetzt den Eindruck, daß analytische Fähigkeiten und breite Allgemeinkenntnisse nicht zu den erwünschten Ressourcen künftiger Unterhaltungskünstler zählen. Auf den Tischen liegen Lifestylemagazine und Modezeitschriften, während sich wenige Bücher in wenigen Regalen verlieren. Das Ressourcenzentrum sei noch im Aufbau, wird mir versichert. Wie heißt doch gleich der für alle StudentInnen verbindliche Kurs des dritten Jahres? „Kulturelle Realpolitik.“
Die Lipa ist nicht zufällig in Liverpool. Die unter dem Niedergang des Hafens leidende Beatles- Stadt sucht als Ort der Weiterbildung ein neues Profil, und im Gebäude der Lipa gingen einst Paul McCartney und George Harrison in die Grundschule. In den achtziger Jahren wurde die Schule geschlossen, was, so will es die mediengerechte Überlieferung, Paul McCartney zutiefst geschmerzt haben soll. Heute ist das um einen Neubau erweiterte Schulgebäude ein Schmuckstück inmitten von bescheidenen Reihenhäusern gleich neben der anglikanischen Kathedrale. Die einstige Aula heißt nun „Paul McCartney Auditorium“ und dienst als Theater. Lipa bietet seinen handverlesenen StudentInnen Aufnahmestudios, Proberäume, Tanzsäle, Computer- und Videoräume sowie Kooperationen mit europäischen Universitäten und der Unterhaltungsindustrie. Befremdlicherweise können die StudentInnen mit ihren Magnetkarten nur die stets verschlossenen Türen ihres Studienfachs öffnen: Ein Tänzer hat also bei den Musikern keinen Zutritt, und die Verwaltung weiß stets, wo sich jeder Student befindet.
Dennoch ist die 29jährige Kulturmanagementstudentin Katja Pasquini aus Ulm, eine von elf deutschen StudentInnen, nach den ersten Wochen begeistert über die Möglichkeit, über den Tellerrand des eigenen Fachs blicken zu können: „Daß wir alle unter einem Dach sind, ist das ganz große Plus von Lipa. Was macht denn heutzutage ein Musikproduzent, der keine Ahnung von Tontechnik hat? Das sind meist die größeren Künstler im Hintergrund. Hätte es die Beatles ohne Brian Epstein gegeben? Wahrscheinlich nicht.“
Ein solches Selbstbewußtsein kommt nicht von ungefähr. Katja hat bereits zwölf Jahre als Maskenbildnerin und Kulturmanagerin gearbeitet. Auch die anderen ausländischen StudentInnen besitzen Berufserfahrungen und sind daher deutlich älter als ihre englischen KomilitonInnen, die mit 17, 18 Jahren frisch von der Schule kommen. Noch verdecken Begeisterung und Motivation die extrem unterschiedlichen Erfahrungen und Erwartungen, denen Lipa gerecht werden muß.
Volker Schuster weiß natürlich, warum für den ersten Jahrgang nicht nur Neulinge ausgewählt wurden: „Der Ruf der Schule hängt vom ersten Jahrgang ab, und wenn einer von uns als Musiker oder Tänzer erfolgreich ist, dann wird es heißen: Sieh her, er war an der Lipa!“
Mal sehen, wann die Lipa die ersten Stars produziert hat. Noch sind es die Legenden der Gründer, mit denen sich die Privatuniversität herumschlagen muß: Richtig sei, daß die Mensa vegetarisch koche, falsch, daß nur nach Rezepten von Linda McCartney gekocht werde.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen