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Kanonenzählen in Ex-Jugoslawien

Ab heute wird in Wien wieder über Rüstungskontrolle auf dem Balkan verhandelt. Ein Vertragsentwurf ist bereits fertiggestellt, allerdings müssen die Zahlen noch eingesetzt werden  ■ Aus Wien Andreas Zumach

Nach dem aus Sicht der USA gescheiterten Aufrüstungsgipfel für Bosnien am letzten Freitag in Ankara soll ab heute in Wien wieder über Rüstungskontrolle und Abrüstung in Ex-Jugoslawien verhandelt werden. Unter Vermittlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) kommen die Delegationen der muslimisch-kroatischen Föderation, der bosnischen Serben sowie Restjugoslawiens (Serbien/Montenegro) und Kroatiens nach mehrwöchiger Unterbrechung wieder zu einer Plenarrunde zusammen. Die serbische Seite hatte die Verhandlungen boykottiert, nachdem die bosnische Regierung Ende Januar acht Serben als mutmaßliche Kriegsverbrecher festgenommen hatte.

Die OSZE-Vermittler wollen den vier Verhandlungsparteien heute einen vollständigen Vertragsentwurf zur ersten Lesung übergeben, in dem lediglich noch die Zahlen fehlen. Die Vermittler sind zuversichtlich, daß nach der muslimisch-kroatischen Föderation und Kroatien heute auch Restjugoslawien und die bosnischen Serben vollständige Daten über ihre Vorräte an Kampfflugzeugen und -hubschraubern, Panzern, gepanzerten Infanteriefahrzeugen und Artillerie vorlegen werden. Laut dem Abkommen von Dayton sollen dafür Obergrenzen vereinbart werden. Die Vorlage der Daten Restjugoslawiens ist unerläßlich für die weiteren Verhandlungen, weil sie als Grundlage zur Berechnung der künftigen Obergrenzen dienen sollen. Restjugoslawien soll bei allen fünf Waffensystemen 75 Prozent der angegebenen Arsenale behalten dürfen; Kroatien und Bosnien dürfen künftig jeweils 30 Prozent der restjugoslawischen Ausgangsgröße besitzen. Im Ergebnis soll bei allen fünf Waffenkategorien ein Kräfteverhältnis von 5:2:2 zwischen Restjugoslawien, Kroatien und Bosnien erreicht werden. Zugleich soll innerhalb Bosniens das derzeit 4:1 betragende Übergewicht der Serben in einen Vorteil von 2:1 zugunsten der muslimisch- kroatischen Föderation umgewandelt werden. Auf Basis der vom Londoner Institut für Strategische Studien (IISS) ermittelten Bestände, die auch von den OSZE- Experten für realistisch gehalten werden, bedeutete dies: um die künftigen Obergrenzen zu erreichen, müßte Restjugoslawien seine Arsenale in allen fünf Waffenkategorien deutlich reduzieren; die bosnischen Serben bei der Artillerie und – ebenso wie Kroatien – bei Panzern und gepanzerten Infanteriefahrzeugen.

Die IISS-Zahlen bedeuteten zum Beispiel für Infanteriefahrzeuge: Restjugoslawien muß von 667 auf 500 reduzieren, Kroatien von 237 auf 200 und Bosnien von 410 ebenfalls auf 200. Innerhalb Bosniens dürften die Serben von ihren derzeit 295 Fahrzeugen 66 behalten, die Föderation könnte hingegen ihren Bestand von 115 auf 134 erhöhen. Auch die Obergrenzen in den anderen Kategorien erlauben der Föderation eine zum Teil massive Aufrüstung. Hier setzt das „Ausrüstungs- und Ausbildungsprogramm“ der USA an. Die Clinton-Administration betreibt es mit dem Argument, die militärische Stärkung der Föderation sei Voraussetzung für einen dauerhaften Frieden. In der Kritik aus EU-Hauptstädten an Washingtons Haltung mischt sich das Interesse, den US-Waffenfirmen den Markt in Bosnien nicht allein zu überlassen, mit der Sorge, das US-Programm sei zumindest zum jetzigen Zeitpunkt das „falsche Signal“ und gefährde den für Mitte Juni vorgesehenen Vertragsabschluß bei den Wiener Verhandlungen. Der von Washington initiierte Gipfel zur Lancierung des „Ausrüstungs- und Ausbildungsprogramms“ am letzten Freitag in Ankara geriet für die Clinton-Administration zum Mißerfolg. Statt der erhofften Finanzversprechen in Höhe von 800 Millionen US- Dollar durch die teilnehmenden 29 Staaten erhielten die USA lediglich eine Zusage von 2 Millionen Dollar von der Türkei. Dennoch dürfte Präsident Clinton das Programm zumindest bis zur Präsidentschaftswahl Anfang November nicht aufgeben, da er seinerzeit die Zustimmung der Republikaner zur Entsendung von US-Truppen nach Bosnien auch mit dem Versprechen der Ausrüstungs- und Ausbildungshilfe für die Föderation erkauft hatte.

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