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Einig gegen die Rückführung

■ Im hessischen Zwingenberg wollen die Dörfler die Abschiebung von Flüchtlingen in die Krajina verhindern

Seeheim (taz) – „Freunde schickt man nicht einfach so in eine undurchschaubare Situation. Freunden hilft man.“ Werner Völker, dem Sitzungspräsident des Karnevalvereins Zwingenberg, ist derzeit nicht zum Lachen zu Mute.

Eine Stadt macht mobil gegen die drohende Rückführung einer kroatischen Flüchtlingsfamilie. Am 15. April muß die Familie Ivcic die Stadt Zwingenberg (Südhessen) in Richtung Krajina verlassen, die Pässe sind von der Ausländerbehörde des Landkreises Bergstraße schon eingezogen. Rückführung, nach dem Ende des Krieges in Ex-Jugoslawien zwischen Deutschland und Kroatien vertraglich vereinbart, ist das Wort, daß für die Zwingenberger eine neue Bedeutung gewonnen hat.

Denn diese Rückführung will niemand: Weder die Familie, die seit 1991 mit dem Status von Bürgerkriegsflüchtlingen in der rund 6.500 Einwohner großen Stadt lebt, noch die Zwingenberger, die die Familie in ihrer Mitte aufgenommen haben. Die 15 Jahre alte Tochter Kristina ist Mitglied des Deutschen Roten Kreuzes und beim Karnevalsverein. Sie steht kurz vor dem Abschluß der Mittleren Reife. Ihre 18 Jahre alte Schwester Ivana macht derzeit eine Ausbildung als Erzieherin in einem katholischen Kindergarten. Vater Darije arbeitet bei einem Hersteller von Knabbergebäck. Die Mutter ist Köchin.

Das Haus der Familie in der Krajina ist zerstört

„Wir möchten, daß sie bei uns bleiben.“ Unter dieser Überschrift bündeln Bürger, Vereine, Mitschüler, Kreisschülervertretung, Erzieherinnen, Parteien und die Stadtverwaltung ihre Kräfte. Sie wollen verhindern, daß die Ivcics ihre neue Heimat verlassen müssen. Eine Unterschriftenaktion läuft, eine Demonstration ist geplant. „Unsere einzige Chance ist, rauszugehen und zu protestieren.“ Viel mehr kann wohl nicht getan werden. Rechtliche Mittel gegen die einheitlich von der Innenministerkonferenz beschlossene Rückführung der Bürgerkriegsflüchtlinge gibt es keine. Das hat die Stadtverwaltung beim Hessischen Innenministerium ausgelotet.

Eine von der Stadtverordnetenversammlung unterstützte Petition der Familie ist vom Hessischen Landtag bereits abgelehnt worden. „Wir können nur an die Humanität der Behörden appellieren. Die viel geforderte Menschlichkeit könnte hier unter Beweis gestellt werden, wenn sie bereit wären, über Gesetzestexte hinwegzugehen“, sagt der Bürgermeister der Stadt, Kurt Knapp. „Die Familie ist hier integriert. Wir dürfen es nicht zulassen, daß sie zum zweiten Mal entwurzelt wird.“

Vom Kirchenasyl über eine Klage beim Bundesverfassungsgericht bis zur Adoption der gesamten Familie durch Zwingenberger – nichts gilt in der sonst so betulichen Stadt derzeit als so verrückt, als das man es nicht als Möglichkeit durchspielen würde. Das Dorf der Ivcics in der Krajina, in das sie am 15. April zurücksollen, ist zerstört, das Haus der Familie auch. Wohin sie in Kroatien sollen, wissen sie nicht. Doch daß die Chancen minimal sind, ein Bleiberecht zu erwirken, dessen sind sich alle bewußt. „Wir sind aber sehr dankbar. Egal, was passiert“, sagt Darije Ivcic. Er hat dabei Tränen in den Augen. Ralf Ansorge

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