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■ Mit ihrem Mediengesetz dreht Sachsens CDU den freien Radios den Geldhahn zu. Kommen die Piratensender wieder?

Im Chaos nach der Wende war Neufünfland ein wahres Dorado für Rundfunkpiraten. Aus einer Kneipe in der Dresdner Neustadt meldete sich noch 1992 Radio Bundesrepublik Neustadt – 50 Stunden nonstop. „Alles live – und die Telekom hat nicht eingegriffen“, erinnert sich einer, der damals mit dabei war.

Nach und nach traten dann die Medienpolitiker auf den Plan. Privatrundfunkgesetze nach Westmuster wurden erlassen. Manche der früheren Äther-Anarchos traten den Marsch durch die Institutionen an. In Sachsen wurden immerhin vier nichtkommerzielle Radios lizenziert: Radio Blau in Leipzig, RadioT in Chemnitz, coloRadio in Dresden und das Leipziger Uniradio Mephisto. Doch jetzt spielt die Sachsen-CDU ihre absolute Mehrheit auch zugunsten ihrer gehätschelten Kommerzradios aus, und seitdem droht, erstmals im neuen Deutschland, einer gewachsenen, wenn auch kleinen alternativen Radioszene der Garaus. Zwar haben die freien Sender in Sachsen eine eigene Lizenz und genießen damit wenigstens vorläufigen Bestandsschutz. Doch hängen alle auch mehr oder weniger am Geldtropf der Sächsischen Landesmedienanstalt (SLM). Und diese Geldquelle droht zu versiegen, seit der Dresdner Landtag im Dezember das neue, heftig umstrittene Mediengesetz verabschiedete.

Der Teufel steckt hier einmal wirklich im Detail. Im alten Gesetz hieß es unter Paragraph 3: „Die Landesmedienanstalt ermöglicht Offene Kanäle und vielfältige Formen lokaler Programme ...“ In der neuen Fassung haben die Winkeladvokaten der CDU das Wörtchen „vielfältige“ gestrichen – eine folgenreiche Korrektur. Weil nämlich die freien Radios auch im alten Gesetz nirgendwo ausdrücklich erwähnt waren, stützte sich die SLM bisher auch auf die Auslegung dieses Wörtchens, wenn es galt, den Alternativen Fördermittel zukommen zu lassen. Schlimmer noch: Als sich alle Bundesländer letztes Jahr einigten, daß die Medienanstalten künftig nichtkommerzielle Radios aus ihrem Anteil an den Rundfunkgebühren fördern dürfen, übernahm der Dresdner Landtag diese Bestimmung nicht. „Ich tue mich jetzt in der Tat schwer, das Gesetz noch zugunsten der freien Radios auszulegen“, sagt SLM-Justitiar Klaus Müller.

Dabei geht es vor allem um die Übernahme der Leitungskosten, die an die Telekom gezahlt werden müssen. Sie schlagen bei Radio Blau und RadioT zum Beispiel mit je rund 10.000 Mark pro Jahr zu Buche. Alles in allem rückte die SLM inklusive Fördermittel für Studioeinrichtungen im vergangenen Jahr 100.000 Mark heraus. Für CDU-Medienpolitiker wie den Rechtsausleger Volker Schimpff, der laut Aussage eines SPD-Abgeordneten Journalisten schon mal als „linke Kakerlaken“ beschimpft, sind das genau 100.000 Mark zuviel.

Dabei wirft die SLM, wenn es um die Alternativen geht, mit Geld nicht gerade um sich. Für die Einrichtung Offener Kanäle, die rechtlich möglich wäre, gab es noch keine müde Mark. Für ein zweifelhaftes Förderprojekt auf dem Gebiet des digitalen Hörfunks (DAB) dagegen wollte die Anstalt locker mal neun Millionen über den Tisch schieben.

Für dieses Jahr hat die Anstalt nun wenigstens noch mal bis zu 40.000 Mark für die Telekom-Gebühren der freien Radios bewilligt. Doch wie es nächstes Jahr aussehen wird, steht in den Sternen. „Das Bild mit dem Damoklesschwert trifft die Lage recht gut“, sagt Jan Pinseler von coloRadio.

Auf den äußerst engen Spielraum bei der Förderung der Alternativen hatte die sächsische Staatskanzlei als Rechtsaufsicht schon Mitte vergangenen Jahres unzweideutig hingewiesen. Wird die Förderung technischer Ausstattung künftig abgeschafft, wie es sich jetzt abzeichnet, dann sind wohl Ausbaupläne wie das Seniorenprogramm von Radio Blau bis auf weiteres gestorben. Auch daran, die nach der Lizenz möglichen Sendezeiten voll auszuschöpfen, ist wohl nicht mehr zu denken. „Und ohne Übernahme der Leitungsgebühren müßten wir ganz abdrehen“, sagt Gerlinde Henning vom Leipziger Projekt. Den rund 100 RadiomacherInnen, die meisten von ihnen SchülerInnen, StudentInnen und Arbeitslose, kann man keine höheren Teilnehmerbeiträge zumuten. Von der bankrotten Stadt erwartet man auch nicht mehr.

„Es ist schon frustrierend“, klagt der coloRadio-Macher Jan Pinseler. Überall in Deutschland, sogar in CDU-Ländern, schössen neue freie Sender und Offene Kanäle aus dem Boden, aber in Sachsen würden die wenigen, die da sind, kaputtgemacht. „Dabei sind wir doch ganz brav in unserer Nische.“ Wenn es hart auf hart kommt, besinnen sich die freien Radiomacher vielleicht auf ihre Anfänge. „Ich könnte mir schon vorstellen“, sagt Jan, „daß einige Leute wieder in den Untergrund gehen.“ Clemens Caspary