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Unwissende Perfektion

■ Das falsche Programm: Geigerin Midori in der Musikhalle

Der alte Horowitz hat sein Leben lang mit gutem Erfolg vermieden, Mozart zu spielen. Darin lag ein Geheimnis seiner Größe. Die frühe Montserrat Caballé versuchte sich auch an Mozart, sie läßt bis heute die Finger davon. Am Dienstagabend geigte Ex-Wunderkind Midori Mozart und Schubert. Und man wußte nach den ersten Violinakkorden der G-Dur-Sonate KV. 379, daß sie noch ein gutes Stück vor sich hat auf dem argen Weg der Erkenntnis.

Daß jemand eine Sprache perfekt spricht und doch nicht weiß, was er sagt, kommt vermutlich nur in der Musik vor. Midori lieferte das Exempel. Sie verfügt über einen gutsortierten Apparat höchster technischer Fertigkeiten. Aber das Einfache, das schwer zu machen ist, erschloß sich ihr nicht. Sie spielte Mozart, als hätte dessen Musik etwas mit seinem Lieblingsgericht zu tun, dem Kapaun, einem kastrierten Hahn, den er vorzugsweise plattiert aß, das heißt ohne Knochen; dazu servierten Midori und ihr Partner Robert McDonald ein Gläschen Valium. Auch Schuberts als Fantasie getarnte Sonate C-Dur D 934 zogen sie romantisch auf, legatissimo, mit komaähnlichen Verzögerungen und Pianissimi-Stellen wie aus dem Dampfbad. Wer immer Midoris Programme macht, er muß ihr ärgster Feind sein. Dabei steht sie, das war nach den ersten Takten von Prokofjeffs Melodia op. 35 b 1 5 zu hören, im Repertoire ab Mitte des 19. Jahrhunderts so fest verwurzelt wie ihre kleinen Füße auf dem Bühnenboden. Da stimmte plötzlich jede dynamische Maßnahme, jeder Farbwechsel machte Sinn, und die Portamenti kamen nicht mehr aus halbem Herzen, sondern aus ganzer Seele. Am Schluß von Saint-Saens abwechslungsreicher D-Moll-Sonate op. 75 spürte man gar, was Midori leisten könnte: Da siegte ihr Temperament über die präzise Mechanik ihrer Virtuosität. Es hatte lange gedauert. Etwas zu lange.

Stefan Siegert

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