Schirm & Chiffre
: Digitale Formen sprechen für sich selbst

■ TeleDaz macht's möglich: Im Deutschen Architektur Zentrum kann man bald virtuell arbeiten

Angesichts der mächtigen Maschinen der Großindustrie werde dem Menschen seine Antiquiertheit bewußt, bemerkte Günther Anders vor langer Zeit. Am Ende kann er sich seiner eigenen Unzulänglichkeit nur noch schämen.

Inzwischen stehen die Menschen nicht mehr bewundernd vor Maschinen, sondern schlüpfen in sie hinein. Wenn Anders heute eine Computermesse besuchte und dort hilflos zappelnden Leuten in Cyberausrüstung begegnete, würde er aber wohl trotzdem darauf bestehen, daß unsere antiquierte Spezies sich vollends der Lächerlichkeit preisgegeben hat.

Der Mann auf der Bühne des Deutschen Architektur Zentrums (DAZ) scheint sich in seiner Schnittstelle dagegen recht wohl zu fühlen. Er bewegt sich, mit Cyberhelm und einer Joystickmutation ausgerüstet, gewandt und routiniert durch die digitale Repräsentation des Eingangsbereichs des DAZ. Das Zentrum hatte im Rahmen des Festivals „Film und Architektur Berlin 1996“ zum Forum Architektur im Datennetz eingeladen. Architekten seien prädestiniert für die Konzeption virtueller Realitäten, die Organisation von Räumen sei schließlich seit jeher ihre Aufgabe, formulierte Edouard Bannwart eine der Kernthesen des Nachmittags. Seine Firma echtzeit ist für die Planung des TeleDAZ verantwortlich. In naher Zukunft werden Besucher des DAZ den eigenen Arbeitsplatz nicht mehr verlassen müssen und sich übers Netz zu virtuellen Spaziergängen aufmachen können.

Eine Vorstellung davon vermittelt uns besagter Herr in der Schnittstelle, dessen Wege und Interaktionen wir auf der Videoleinwand mitverfolgen können. Im Cyberspace des TeleDAZ kann via virtuellen Händedruck Kontakt mit anderen Besuchern aufgenommen oder in Karteikästen nach dreidimensionalen „Konstruktionsplänen“ gegriffen werden. Hinter diesen verbergen sich dann im besten Fall wieder virtuelle Architekturmodelle, die man von allen Seiten betrachten oder betreten kann.

Die Infrastruktur des Zentrums wird aus Video- und VR- Arbeitsplätzen und einer Communication Wall bestehen, auf der die jeweils fehlende Hälfte eines Konferenztischs simuliert wird. Gesprächspartner werden hier telepräsent sein. Auch im WWW-Projekt „architecture + digital“ steht die Kommunikation im Vordergrund. Neben dem einfachen Zugriff auf Informationen, die in Datenbanken organisiert sind, können Architekten sich in einem virtuellen Forum über Fragestellungen aus dem Baubereich austauschen oder schnell auf neueste Ausschreibungen reagieren.

Vernetzte digitale Architekturen werden in mehrfacher Hinsicht nicht nur die Arbeitswelt von Architekten verändern: Angehörige virtueller Firmen können telematisch an dreidimensionalen Konstruktionen arbeiten. Diese Methode der direkten Visualisierung wird revolutionäre Folgen auf der Ebene menschlicher Kommunikation haben, blickt Bannwart in die Zukunft. Die (De-)Codierung von Ideen in und aus sprachlichen Konstrukten wird überflüssig. Anstatt eines zweidimensionalen Plans oder eines Texts werden digitale Formen geschaffen, die für sich selbst sprechen.

Früher sei die Frage gewesen, ob Informationen wahr oder falsch, Entdeckungen oder Fiktionen sind, bemerkte Flusser dazu einmal. Die Frage sei inzwischen aber sinnlos geworden, der springende Punkt einer Informationskritik sei heute vielmehr, inwieweit Formen realisierbar seien: „Wie operativ, wie fruchtbar sind die Informationen?“ Aber auch zur Beantwortung dieser Frage stehen inzwischen High-Tech-Werkzeuge bereit. Die Stereolithographie benutzt Lasertechnologie, um anhand digitaler Modelle die amorphe Materie von Harz zu informieren. Da freut sich der Investor, denn der ist, so hören wir am Ende vom Podium, des Lesens von Bauplänen oft nicht mächtig. Ulrich Gutmair