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90.000 Jobs und 1.000 Mark als Lockvögel

■ Die Fusion mehrt den Wohlstand, glaubt ein Volkswirt vorhersagen zu können. Wissenschaftler bedient die Unternehmensverbände mit seinen Erkenntnissen

Eine Fusion der Bundesländer Berlin und Brandenburg werde Beschäftigung und Wohlstand der Region erheblich mehren, meint ein Wissenschaftler der Technischen Universität Cottbus. Der Volkswirt Wolfgang Cezanne geht davon aus, daß vereinigungsbedingt 90.000 Arbeitsplätze entstehen werden. Die Fusion werde bis zum Jahr 2006 auch das verfügbare Einkommen jedes einzelnen in der Region um 1.000 Mark anheben, glaubt Cezanne per volkswirtschaftlicher Gesamtrechnung nachweisen zu können, die er im Auftrag der berlin-brandenburgischen Unternehmensverbände erstellt hat.

Die Berechnung der volkswirtschaftlichen Effekte einer Fusion schließt eine Lücke: Bislang hat es niemand gewagt, eine mögliche Wohlstandsmehrung der Länderehe in Mark und Pfennig auszuweisen. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hatte dies vor einem Jahr ausgeschlossen. Und auch der heutige Auftraggeber der Cezanne-Studie, die Unternehmensverbände (UVB), hatten vor wenigen Wochen noch Aussagen über neue Arbeitsplätze tunlichst vermieden. Gestern nun erklärte der Geschäftsführer der Unternehmerlobby, Hartmann Kleiner, „daß die Länderfusion eine entscheidende wirtschafts- und beschäftigungspolitische Maßnahme für die Region ist“.

Wolfgang Cezanne geht in seinem Gutachten davon aus, daß 10 Milliarden Mark privater Investitionen in die Region gehen – wenn die Fusion kommt. Diese Milliardenspritze werde bis zum Jahr 2006 rund 40.000 Arbeitsplätze schaffen. Cezanne konnte und wollte nicht sagen, in welchen Branchen neue Jobs entstehen. Er habe eine makroökonomische Rechnung durchgeführt, die nicht auf einzelne Wirtschaftssektoren eingehe. Cezannes Auftraggeber Hartmann Kleiner ergänzte, die blühenden Branchen seien die Verkehrstechnik, die Mikroelektronik, Optik „und was weiß ich.“ Dabei handle es sich um das Folge- und Wartungsgeschäft, das sich an (zumeist staatlich finanzierte) Infrastrukturmaßnahmen anhänge.

Cezanne und Kleiner mutmaßten, daß das Kapital den märkischen Sand fliehen werde, wenn die Fusion scheitere. Ein Anreiz für private Investoren, die mit 200 Milliarden Mark „in den Startlöchern sitzen“ (Kleiner), sei die Tatsache, daß mit der Fusion „das Durcheinander und Gegeneinander“ der beiden Landesregierungen aufhöre. Das reibungslosere Funktionieren von Regionalplanung, Wirtschaftsförderung und Infrastrukturpolitik gilt allgemein als das wesentliche Plus eines gemeinsamen Landes.

Cezanne konnte seine Auftraggeber, wie er sagte, noch mit „weiteren Aussagen bedienen“. Die personellen Einsparungen im öffentlichen Sektor beliefen sich auf einen Geldwert von einer Milliarde Mark. Diese Milliarde werde, wenn sie durch Steuersenkungen an Wirtschaft und Bürger weitergereicht werde, den Aufbau weiterer 50.000 Arbeitsplätze nach sich ziehen. Der Geschäftsführer der Unternehmensverbände, Kleiner, verlangte kategorisch, die Einsparungen durch den Personalabbau im öffentlichen Dienst nicht für den Schuldendienst zu verwenden; vielmehr solle man mit dem Geld Steuerleichterungen finanzieren – etwa die Senkung der Gewerbesteuer. Der Gesamtzuwachs an Beschäftigung von rund 90.000 Stellen sowie die getätigten Investitionen würden die Portemonnaies der Berlin-Brandenburger füllen, schätzt Cezanne. Um 1.000 Mark steige der Anteil jedes einzelnen am Bruttoinlandsprodukt – im Durchschnitt. Der neoliberale Volkswirt wollte aber nicht garantieren, daß sich der mutmaßlich steigende Wohlstand auf alle verteile. Christian Füller

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