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Keine Erinnerung an die Tat

■ Prozeß wegen Vergewaltigung und Mord: Angeklagter will ein „sexuelles Verhältnis“ mit seinem Opfer gehabt haben

Vieles, meinte Andreas H., wisse er nicht mehr. Wie im Film habe er die Tat erlebt, ferngesteuert irgendwie. Doch an das Blut auf seinem linken Hosenbein erinnert er sich ohne Zögern und daran, daß sein Opfer sich gewehrt hat und daß Schnee lag.

Wegen Mordes steht der 39jährige Andreas H. seit Dienstag vor dem Hamburger Landgericht. Er soll im November 1993 die 22jährige Verlobte eines Mitinsassen vergewaltigt und erdrosselt haben. H. verbüßte damals eine Haftstrafe wegen Vergewaltigung und Raubüberfall im offenen Vollzug der sozialtherapeutischen Anstalt Bergedorf.

Dort sei es, klagte er gestern, „ganz anders, als man sich das erwartet hat“. Er sei auf eigenen Wunsch dort hingekommen und habe auf „Hilfestellung, Wiedereingliederung und so“ gehofft. Lediglich einmal pro Woche sei ein Psychiater vorbeigekommen. „Ansonsten mußte man alles allein machen.“ Das sei ja auch der Sinn solcher Einrichtungen, belehrte ihn der Vorsitzende Richter.

Bald begegnete Andreas H. der Freundin eines Mitinsassen, mit dem er oft Kaffee getrunken und sich unterhalten habe. „Man muß sich ja irgendwie beschäftigen.“ Im Oktober 1993 fand der Angeklagte einen Job am Hamburger Flughafen. Mehrfach habe die junge Frau ihn im Auto mitgenommen, erzählte H., wenn er zur Arbeit wollte oder zum Haschisch-Kauf nach Rothenburgsort. Und irgendwann sei „es passiert“ und noch zwei- oder dreimal vor der Tat. Wie so etwas eben passiert, meinte der Angeklagte, man sieht sich an und alles ist klar.

Ein schlechtes Gewissen gegenüber dem Mitinsassen und Verlobten des späteren Opfers habe er nicht gehabt, darüber gar nicht nachgedacht. „Es war ja keine Liebesbeziehung zwischen uns, sondern ein sexuelles Verhältnis.“ Auch am Tatabend hätten sie miteinander geschlafen, im Auto, und hinterher Streit gehabt. „Da sind Wörter gefallen. Die muß ich wohl als Drohung verstanden haben.“ Er habe ein Messer gezogen, „nur um zu drohen“, und sie damit an der Hand verletzt. Er habe ihre Hand verbunden, der Streit sei eskaliert. Es sei sehr hektisch gewesen, so genau wisse er das alles nicht mehr.

Mit Klebeband gefesselt, geknebelt und erdrosselt wurde die junge Frau tot in einem Wassergraben in den Boberger Dünen gefunden. Ihre Beziehung zu dem ehemaligen Mitinsassen des Angeklagten sei eine „brennend heiße, ausschließliche Liebe“ gewesen, war der Vorsitzende der Kammer „nach Aktenlage“ überzeugt. Keinen Hehl machten Kammermitglieder und Staatsanwalt daraus, daß sie nicht an ein freiwilliges sexuelles Verhältnis der 22jährigen mit dem Angeklagten glauben. Die Art, wie das Opfer gefesselt worden war, so der Staatsanwalt, gleiche zudem der in einem anderen Vergewaltigungsfall, dessen Straffolge der Angeklagte gerade absitzt.

Der Prozeß soll heute fortgesetzt werden. Stefanie Winter

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