: „Sonderfahrt“ im Schanzenviertel
■ Polizei kesselte kurdischen Fackelzug ein und nahm 200 Personen vorläufig fest
Die Übermacht war erdrückend: 1400 Polizeibeamte, Bundesgrenzschützer und Mitglieder des Mobilen Einsatzkommandos verwandelten am Mittwoch Teile der Stadt in Festungen. Begründung: Befürchtete KurdInnen-Krawalle am Vorabend des türkischen Neujahrsfestes „Newroz“, an dem in Hamburg der Prozeß gegen drei mutmaßliche Mitglieder einer Unterorganisation der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK begann.
Während zwei angekündigte Demonstrationen vor dem Strafjustizgebäude und am Ottenser Spritzenplatz durch die massive Polizeipräsens zerstreut wurden, kam es am Abend im Schanzenviertel zu einer Neuauflage des Hamburger Kessels. Ein kurdischer Newroz-Fackelzug wurde – weil tags zuvor von der Polizei verboten – am Schulterblatt im Schanzenviertel gegen 19 Uhr gestoppt und eingekesselt. 200 der etwa 300 DemonstrantInnen wurden durch ein Polizeispalier einzeln abgeführt, durchsucht und zur Personalienfeststellung in HVV-Bussen in die Polizeireviere gebracht. Von der Leuchtanzeige der Busse prangte der zynische Hinweis „Sonderfahrt“.
Der Abtransport verlief „geordnet“: Prügeleinsätze gegen umstehende DemonstrantInnen und vereinzelte Steinwürfe gegen die „Gefangenen-Transporter“ blieben die Ausnahme.
Das Muskelspiel fand erst gegen 22.30 Uhr ein Ende. Nach „Verhandlungen“ mit den Anwälten Mahmut Erdem und Manfred Getzmann erklärte sich die Einsatzleitung bereit, den aus noch etwa 100 DemonstrantInnen bestehenden Kesselinhalt ohne Personalienfeststellung abziehen zu lassen. Getzmann hatte zuvor die „Unverhältnismäßigkeit“ des Polizeieinsatzes beklagt.
Zuvor hatte die Polizei den Kessel mit einem überraschenden Ausfall in zwei Teile geteilt: eine vorwiegend kurdische und eine kurdisch-deutsche Hälfte. Beim Zugriff zeigten sich die Beamten vor allem an der Festnahme der kurdischen DemonstrantInnen interessiert, viele DemonstrantInnen aus der autonomen Szene kamen „ungeschoren“ davon.
Während sich die Polizei dafür lobte, daß sie die von ihr an die Wand gemalten KurdInnen-Krawalle verhindern konnte, bezeichnete PDS-Landesgeschäftsführer Andreas Grünwald das Kundgebungs-Verbot und den Polizeikessel als „faktische Beseitigung des Demonstrationsrechtes“. Die Einkesselung und Festnahme der TeilnehmerInnen „einer friedlichen und spontanen Demonstration“ sei ein Mosaikstein einer „beispiellosen Gewalt- und Kriminalisierungskampagne gegen ein ganzes Volk“. Marco Carini
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