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Wer ist der Sack und wer der Esel?

■ Der NDR-Fernsehdirektor spielt den Zensor und schiebt seinen Rundfunkrat vor

Wie viele Finger braucht man, um die Sendungen im deutschen Fernsehen zu zählen, die sich um eine Aufarbeitung der deutsch- deutschen Geschichte bemühen? Eine Hand möchte da wohl ausreichen. Trotzdem war's offenbar eine Sendung zuviel. Eine „Wiederbegegnung mit uns selbst“ ist im Land der Verdränger und Weißwäscher nicht sehr beliebt. Jedenfalls mußte der fünfteilige Fernsehessay, in dem der einstige NDR-Redakteur Bernd C. Hesslein (74) „Deutsche-deutsche Legenden“ (Untertitel) kritisch beleuchtet, im Archiv verschwinden. Verfügt hatte das Sendeverbot, so wurde zunächst verbreitet, der Rundfunkrat des NDR (vgl. taz vom 8. 12. und 20. 12. 95).

Doch jetzt stellt sich heraus: Er hat es gar nicht – und trotzdem soll die Serie nicht mehr gezeigt werden, auch nicht von anderen Sendern. Und das hat ein NDR-Hierarch zu verantworten, der gegenüber der taz noch im Dezember den Eindruck erweckt hatte, als hielte er den Beschluß des Rundfunkrats für zu hart: Fernsehdirektor Jürgen Kellermeier (vgl. taz vom 21. 12. 95).

Doch der Reihe nach. Am 15. Dezember erklärte der NDR- Rundfunkrat mit knapper Mehrheit die zweite Folge des Fünfteilers zur „journalistischen Fehlleistung“, die ein „einseitiges Geschichts- und Meinungsbild“ vermittele. Betrieben hatten dies Jürgen Pohl vom „Verband der Opfer des Stalinismus“ und der Hamburger CDU-Hardliner Jürgen Echternach. Am Ende des Beschlusses steht: „Darum wird der NDR diese Sendung nicht wiederholen.“

Doch jetzt bekam Filmautor Hesslein aufschlußreiche Post. Darin erklärt ihm die Vorsitzende des Rundfunkrates, Sabine-Almut Auerbach, was dort – juristisch wirksam – entschieden wurde. Der Nachsatz sei nämlich „mißverständlich“ und auch „nicht als Anweisung an das Haus zu verstehen“. Und weiter: „Eine Anweisung gegenüber dem Intendanten könnte der Rundfunkrat nur nach vorheriger Feststellung einer Staatsvertragsverletzung aussprechen. Eine solche Feststellung ist hier aber gerade nicht getroffen worden.“ Die Hardliner des Gremiums hätten zwar gern eine Verletzung der Programmgrundsätze des NDR-Vertrages gerügt – konnten sich damit aber nicht durchsetzen.

Schließlich war die Reihe zweimal auf N3 gelaufen, ohne daß irgend jemand Anstoß genommen hätte. Didaktisch aufgebaut, regte sie immerhin Hamburger LehrerInnen dazu an, Mitschnitte im Unterricht zu verwenden. Interesse hat sie auch beim Nachbarsender ORB geweckt. Dessen Redaktion „Feature/Fernsehen“ würde die Serie gern übernehmen, kriegt sie aber nicht. Das hat zwar mit dem Rundfunkrat nichts zu tun, da „Sperrvermerke nicht durch den Rundfunkrat veranlaßt werden können“ (Auerbach), dafür sehr viel mit Fernsehdirektor Kellermeier. Der erklärte flugs Folge2 per Fax „aus Rechtsgründen für ausschnittweise Verwendung und Übernahmen gesperrt“. De facto bedeutet diese Anweisung, „daß wir die ganze Serie in der vorliegenden Form nicht herausgeben“, bestätigt Kellermeier gern auf Anfrage.

Nach außen rechtfertigt der Fernsehdirektor seine Zensuraktion mit Kritik an einem Teil der Serie, die im Rundfunkrat gar nicht zur Debatte stand. Ihm mißfällt viel mehr die Folge 3 (Titel: „Annäherung und Abgrenzung“), wo es heißt: „Aber noch ehe sich erweisen konnte, ob der Sprung über Hunderte von Schatten sich lohnen würde, hatte sich die deutsche Frage, die vor allem eine ,querelle allemande‘ (also ein „deutscher Streit“, d. Red.) gewesen war, dank Perestroika und Glasnost, also ohne deutsches Zutun, gelöst.“

„Absurd“, so Kellermeier. „Kommt darauf an, wo man geschichtlich ansetzt“, so Autor Hesslein. Auf Nachfrage will der Fernsehdirektor als die historisch wahren Auslöser der Wende andere darstellt sehen: eine von ihm so genannte „ostdeutsche Einheitsbewegung – und natürlich die Bundesregierung“. Solange das im Film nicht vorkommt, soll die „Wiederbegegnung mit uns selbst“ nie und nirgendwo mehr auf den Bildschirm. Basta. Basta? Ulla Küspert

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