Die Breite des Angebots erhalten

■ Interview mit der Kultursenatorin Christina Weiss, 2. Teil: Kulturpolitik im Sparzwang

taz: In einem Interview zum ersten Konsolidierungshaushalt vor zwei Jahren hatten Sie sich noch sehr optimistisch über ihren politischen Gestaltungsspielraum geäußert. Ist dieser Optimismus angesichts des nächsten radikalen Sparetats noch da?

Christina Weiss: In Kenntnis dessen, was auf uns zukommt, ist der Optimismus zwar geringer geworden, aber die Herausforderung, mit der größtmöglichen Vernunft das Notwendige tun zu müssen, ist natürlich weit größer, als jede bisherige Herausforderung im kulturpolitischen Bereich. Jetzt geht es um die prinzipielle Entscheidung: Was braucht Hamburg über die Jahrtausendwende hinweg an Kultur? Ich glaube, daß wir einen ganz schlimmen Fehler machen, wenn wir die kulturellen Spielräume abschneiden. Dann vergehen wir uns an dem, was unser gesellschaftlicher Auftrag ist.

Welches sind Ihre Argumente, um das Kaputtsparen von der Kultur abzuhalten?

Wir müssen darauf achtgeben, daß wir unserer Gesellschaft in der aktuellen materiellen Notlage nicht das kulturelle Bewußtsein rauben. Und das einzige, was wir den Menschen gegenbieten können, wenn wir ihnen immer mehr Geld wegnehmen, sind Werte, die kulturell vermittelbar sind und die ganz schnell kaputt gehen, wenn man nicht jeden Tag daran arbeitet. Und ich glaube, daß der kulturelle Bereich weit mehr als in allen vorherigen Zeiten eine Bildungsrolle übernommen hat.

Über Strukturreformen in den Theatern ist es sehr still geworden in letzter Zeit. Steht das nicht mehr auf der Tagesordnung? Angesichts von Gehalts- und Arbeitszeitoasen wie bei den Philharmonikern empfinden das viele als Ärgernis.

In den Hamburger Theatern haben wir schon sehr viel gemacht an Strukturstraffungen, aber das betrifft eben nur die Bereiche, die nicht durch Bundesgesetz gebunden sind, wie die Tarifverträge. Dort etwas zu ändern ginge nur in der Gemeinschaft der Kultusminister. Die hat aber immer noch Mitglieder, deren Not nicht groß genug ist, um über Strukturveränderungen nachzudenken.

Wir wollen den Leuten ja gar nichts wegnehmen, aber wir müssen einfach besser verteilen. Wir können nicht Künstler in die Arbeitslosigkeit schicken, weil sie leicht kündbare Verträge haben, und andere üppig ausgestattet lassen, weil wir nicht an die Strukturen herankommen. Das kann nicht die Zukunft sein.

Droht der Stadt mit dem nächsten Konsolidierungshaushalt eine Intendantenkrise? Alle jetzigen und zukünftigen Theaterleiter haben schon oft und vernehmlich von Schmerzgrenzen gesprochen.

Es gab ja mal Jürgen Flimms Vision, daß der Punkt erreicht werden könnte, wo alle Intendanten – und ich füge hinzu, inklusive der Kultursenatorin – das Handtuch werfen, weil es nicht mehr erträglich ist. Allerdings haben wir ja eigentlich keine Alternative, denn es geht ja allen Kommunen und Ländern schlecht. Deswegen denke ich, wir werden noch sehr lange miteinander ringen, bevor das nötig wird.

Birgt die Verselbständigung bei Theatern und Museen (siehe auch Artikel auf dieser Seite) nicht die Gefahr in sich, daß die Besucherquote zum Maß der Dinge wird und die Museen ihren Bildungsauftrag für große Shows vernachlässigen?

Ich glaube, das läßt sich verhindern. Sowohl in der Kunsthalle wie in den anderen Museen ist der Beweis längst angetreten, daß man eine gute Mischung zwischen Publikumserfolg und avantgardistischem Schritt hinbekommt. Das ist auch didaktisch unheimlich wichtig. Daß die Zeiten, wo es völlig unwichtig war, ob jemand in eine Ausstellung geht oder nicht, vorbei sind, das finde ich wiederum ganz gut. Und ich bin mir sicher, daß die Institute vorher am staatlichen Gängelband auch durchaus gelitten haben.

Wie sieht die Zukunft für kleine Kultursparten aus, für die niemand die Alarmglocken läutet, wenn sie durch Unterversorgung bedroht sind. Genießen Bereiche wie das Freie Theater, Rockmusikförderung usw., die kaum eine Lobby haben, Ihren besonderen Schutz?

Wir haben da bisher finanziell noch nicht eingegriffen – nur indirekt, indem wir die Kostensteigerungen nicht ausgeglichen haben. Auch hier ist es die Frage, wie bekommen wir diese Institutionen über die Talsohle hinweg, ohne daß sie zerstört werden. Wir gehen in eine Zukunft, wo es sehr wichtig ist, die breite Streuung zu erhalten. Früher war meine Position: Lieber weniger Institute und die ordentlich ausgestattet, aber das hat sich zuletzt geändert. Ich versuche jetzt lieber, möglichst viele Institutionen zu retten, um möglichst viele Menschen erreichen zu können.

Aber die sogenannten „Kleinen“ brauchen überproportional viel Hilfe, weil 500 von 2000 Mark weniger, wie beim Freien Theater, ganz etwas anderes ist, als von der Gage eines Staatsschauspielers. Gibt es in diese Richtung keine Überlegung oder kommt das einfach nicht an die Öffentlichkeit?

Das kommt deswegen nicht an die Öffentlichkeit, weil jeder, der sich dazu äußern könnte, selbst betroffen ist. Sind wir bereit, unser Gehalt zu halbieren, damit ein anderer die andere Hälfte bekommen kann? Das ist im Grunde die Frage. Das wäre in Ordnung, wenn man sagen könnte: „Liebe Leute, ab heute gelten keine Tarifverträge mehr. Wir fangen ganz von vorne an mit dem Verteilen.“ Aber das ist eine Utopie. Das wird nie möglich sein, denn es zählt sich ja in Wirklichkeit niemand zu den Gutverdienenden.

Aber eine Kultursenatorin kann hier auch parteilich sein und darauf hinweisen, daß die finanziellen Probleme sehr ungleich verteilt sind.

Ja. Ich habe das auch schon oft gesagt. Und die Sinfoniker etwa haben mit dem Verzicht auf ihr 13. Monatsgehalt dieses Kunststück ja vollbracht. Das war für mich ein ganz, ganz hoher Wert. Und es wäre schon grandios, wenn solche Angebote auch einmal von woanders her kämen.

Hat sich in der Zeit ihrer Amtsperiode, auch einmal unabhängig von ihrem persönlichen Wirken, etwas am Stellenwert der Kultur in der Stadt geändert?

Ich glaube, sie ist präsenter geworden. Das zeigt sich darin, daß die Streite um die Kultur heftiger geworden sind, sie also vielen sehr wichtig ist. Und wir haben schon einiges verändert. Im Bereich der Bildenden Kunst etwa ist Hamburg eine völlig andere Stadt geworden.

Sicherlich sind die Probleme größer geworden, aber auch das Bewußtsein, was Kultur leisten kann. Nicht nur, was das Stichwort Standortfaktor betrifft. Es hat sich einfach herumgesprochen, daß Menschen wegen der Kultur in Städte kommen. Aber man hat auch gelernt, daß Kultur für den einzelnen ein ganz wichtiger Faktor ist. Insofern ist der Stellenwert der Kultur mehr ins Bewußtsein gerückt, ist aber dadurch auch umstrittener geworden.

Fragen: Till Briegleb