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Wo erwischt man die Realität?

Der Bonner Kunstverein stellt Tier-, Figuren- und Landschaftsbilder der Schweizerin Miriam Cahn aus  ■ Von Christiane Meixner

„Tiere denken“ heißt eins der zahllosen Gemälde, die Miriam Cahn an die Wände des Bonner Kunstvereins genagelt hat. Und wie so häufig in dieser Retrospektive weiß man nicht, welcher Sphäre das Motiv entsprungen ist: Stellt die Schweizer Künstlerin eine ihrer Kopfgeburten vor? Oder pocht sie auf ein kreatürliches Bewußtsein, wie es der Ausstellungstitel „Umgebung – was mich anschaut“ andeutet?

In jedem Fall entsteht ein Wechselspiel zwischen dem schier endlosen Fries von menschlichen Figuren, Tieren und Landschaftsfragmenten und dem Besucher der schlichten, dreigeteilten Halle des Bonner Kunstvereins. Miriam Cahn (Jahrgang 1949) hat ohne große Rücksicht auf Technik und Formate kleine Ölgemälde neben Kreidezeichnungen neben Pigmentbilder gehängt. Ungerahmt, ein chronologisches Chaos: Die Kategorien der Schweizer Künstlerin funktionieren anders als die einer herkömmlichen Rückschau. So sind die beiden kleineren, sich gegenüberliegenden Räume mit Arbeiten gefüllt, in denen einmal Eigenschaften weiblicher, das andere Mal männlicher Zuschreibung dominieren: hier eine „blutungsarbeit“, dort ein „handelsschiff“, dessen zackige Gestalt eher an ein Kriegsboot aus Comic- Gewässern denken läßt. Auch der Titel „blutungsarbeit“ führt leicht ins interpretatorische Abseits. Gemeint ist ein zyklisches Arbeiten, das vom jeweiligen Zustand des Körpers spürbar beeinflußt wird; ein physischer Prozeß, der die psychische Verfassung nicht unangetastet läßt.

Überhaupt der Körper. Zwar setzt Miriam Cahn, die während der letzten Jahre an Ausstellungsprojekten wie „Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts“ (Museum Wiesbaden, 1990), „Szenenwechsel“ (MKK Frankfurt, 1992) und 1984 an der Biennale in Venedig teilgenommen hat, ihn vehement ein. Dunkle Hand- und Fußabdrücke bleiben als Spuren auf den großen, älteren Papieren zurück, auf denen die Künstlerin während des Malens kniet, steht oder läuft. Aus den Arbeiten jüngeren Datums jedoch, den anonymen Porträts und Brustbildern, ist das aufgewühlt Gestische gewichen. Hier scheinen die liegenden und stehenden Figuren seltsam beruhigt – durchscheinenden Föten in prächtigen Farben ähnlich, denen es an Haut und Haaren mangelt. Schemenhaft sind Nasen und Münder erkennbar, rabenschwarz die Augenhöhlen, die dem Besucher folgen, sich am Rücken festsaugen, beunruhigen.

Kopfgeburten der Künstlerin? „Körpergedächtnis“ hat Jean- Christoph Amman den eigenwilligen Cahnschen Umgang mit den der Realität vorgelagerten Bildern genannt. Und wieder fungiert das Auge als Zentralorgan, das Eindrücke ins Innere transportiert und sie dort wirken läßt. Die gespeicherten Bilder aber – Atommeiler und Arbeitslager, Soldaten und immer wieder vernichtete Frauen – dokumentieren eine Form der Aufzeichnung, die die elektronischen Medien ins Unendliche verlängert haben. Ein Overkill an Informationen, die Miriam Cahn auf subjektive Art erdet, mit einem Körper versieht, transformiert: „dieser rand, also wo erwischt man die realität und wo wird es auf eine dumme art naturalistisch?“ Cahns poetische Chiffrierung dessen, was ihr unter die Augen gerät, kennt keine ungebrochenen Abbildungen. Und dennoch scheint ein Stück Umgebung aus ihrer Malerei, das die Konfrontation mit jenen künstlerischen Visionen schmerzhaft authentisch werden läßt.

Miriam Cahn: „Umgebung – was mich anschaut“, bis 28.4. im Bonner Kunstverein, 31.8.–13.10. in der Stadtgalerie Saarbrücken.

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