: Kein zweites Maastricht
Die Regierungskonferenz will Europa fit für kommende Herausforderungen machen. Im Mittelpunkt stehen interne Strukturen, Außenpolitik und der Kampf gegen Arbeitslosigkeit ■ Aus Brüssel Christian Rath
Von „Maastricht II“ spricht heute niemand mehr. Denn „Maastricht“, das haben die EU- MarketingexpertInnen schnell erkannt, das hat keinen guten Klang, erinnert an die ungeliebte Währungsunion und peinliche Volksabstimmungen. Statt dessen heißt es jetzt „Regierungskonferenz 96“, ein Titel ohne Image.
Die Tagesordnung des am kommenden Freitag in Turin beginnenden Treffens ist so vielschichtig, daß man fast von fünf parallelen Konferenzen sprechen könnte. Erstes Ziel: Die EU muß besser funktionieren, um sich vergrößern zu können. Ein halbes Jahr nach Ende der Regierungskonferenz sollen Verhandlungen mit Malta und Zypern aufgenommen werden, später auch mit einigen oder allen der interessierten mittel- und osteuropäischen Länder. Auf bis zu 30 Mitgliedsstaaten könnte sich die Europäische Union in den nächsten Jahren verdoppeln. Die Organe und Entscheidungsverfahren sollen deshalb gestrafft werden, damit die Union auch nach der Erweiterung noch handlungsfähig bleibt.
Auf den Prüfstand soll zum einen die Größe der Gremien. Die Kommission etwa zählt derzeit 20 Mitglieder. Bei einer Erweiterung müssen „die großen Fünf“, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien, wohl auf die ihnen zustehende zweite KommissarIn verzichten. Der französische Europaminister Michel Barnier, der diese auf zwölf begrenzen will, rührt allerdings an einem heißen Eisen. Sein Vorschlag impliziert nämlich, daß nicht mehr jeder Mitgliedsstaat eine eigene KommissarIn stellen darf. Betroffen wären von einer derartigen Reform vor allem die Kleinstaaten.
Außerdem soll das vor allem von England verteidigte Einstimmigkeitsprinzip fallen. Im Bereich des eigentlichen Gemeinschaftsrechts ist in erster Linie das Steuerrecht betroffen. Dort liegen derzeit zahlreiche Vorschläge der Kommission auf Eis, weil im Ministerrat keine Einigung zustande kommt. Einstimmigkeit ist außerdem in den beiden Randbereichen der EU, der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sowie der Zusammenarbeit in Innen- und Rechtspolitik erforderlich.
Zweites Ziel: Die EU soll außenpolitisch aktiver werden. „Die EU verbietet zwar in Frankreich die Jagd auf Ringeltauben, kann aber in Bosnien nicht die Jagd auf Muslime verhindern“, so beschrieb der französische Expremier Michel Rocard die Ohnmachtserfahrung Europas angesichts des Krieges in Jugoslawien.
Als Haupthindernis wurde das bereits erwähnte Einstimmigkeitsprinzip identifiziert. Doch vor allem Großbritannien will an seiner außenpolitischen Souveränität festhalten. Der gemeinsame Vorschlag von Deutschland und Frankreich zur Einführung einer „konstruktiven Enthaltung“ versucht hier Brücken zu bauen. An der Durchführung so gefällter Entscheidungen müßten nur die Staaten teilnehmen, die sich nicht enthalten haben.
Für ein gemeinsames Planungs- und Analysezentrum zur besseren Vorbereitung der EU- Außenpolitik zeichnet sich bereits breite Zustimmung ab. Weitergehend hat Jacques Chirac vorgeschlagen, der EU-Außenpolitik auch ein „Gesicht“ zu geben. Dem Vorschlag zufolge soll ein hoher Repräsentant als eine Art ständiger EU-Außenminister fungieren, während die EU-Außenpolitik bisher durch die jeweilige Präsidentschaft vertreten wurde, also alle sechs Monate durch ein anderes Land.
Drittes Ziel: Die EU soll offener werden. Dies fordern vor allem die Nordländer, die die Transparenz der europäischen Rechtssetzung erhöhen wollen. Ratssitzungen sollen öffentlich sein, die Bürger sollen Zugang auch zu internen Gemeinschaftsdokumenten erhalten.
Viertes Ziel: Die EU soll sich gegen Arbeitslosigkeit engagieren. 18 Millionen Arbeitslose gibt es in der EU. Und es dürfte die Menschen wohl mehr als die Zahl der Kommissionsmitglieder interessieren, was die EU hiergegen unternimmt, Diesem ursprünglich von Schweden forcierten Thema können sich inzwischen auch die anderen Regierungen nicht mehr entziehen.
Doch was es bringen sollte, die Beschäftigungspolitik als neues Ziel in den EU-Vertrag einzuführen, bleibt weiter unklar. „Beschäftigung kann nicht vertraglich verordnet werden“, war der zutreffende Kommentar von Außenminister Klaus Kinkel. Wichtiger wäre es, wenn sich die EU-Mitglieder auf eine gemeinsame wirtschaftspolitische Strategie einigen könnten. Denn solange sich die 15 Staaten nicht zwischen Deregulierung, Beschäftigungsprogrammen und ökologischem Umbau entscheiden können, wird der gemeinsame Kampf gegen die Arbeitslosigkeit zwangsläufig Rhetorik bleiben.
Fünftes Thema: Wann und mit wem kommt es zur Währungsunion? Offiziell steht die Währungsunion auf keiner Tagesordnung. Und doch wird sie eines der Hauptthemen der Regierungskonferenz sein. Schließlich ist sie immer mehr zum Symbol der Integrationsbereitschaft und -fähigkeit geworden. Ein Scheitern der Währungsunion könnte schnell auch ein Scheitern der Regierungskonferenz zur Folge haben.
So hat die Regierungskonferenz dann doch mehr mit Maastricht zu tun, als den EU-StrategInnen lieb ist.
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