In fremden Zungen sprechen müssen

■ Immer wieder wird die Unterdrückung von Minderheitensprachen als ein Mittel der politischen Einigung gepriesen. Konflikte in aller Welt zeigen: Das ist ein Irrtum

Am Vorabend des Referendums in Quebec über die Frage der Unabängigkeit von Kanada meinte Newt Gingrich, Sprecher des amerikanischen Repräsentantenhauses, davor warnen zu müssen, daß das Auseinanderbröckeln des Nachbarn womöglich ein Warnsignal sei: „Wenn wir nicht darauf bestehen, unsere Zivilisation zu erneuern – und das heißt als erstes, darauf zu achten, daß Englisch unser aller Sprache ist –, dann werden wir uns selbst zerstören.“

Gingrich wandte sich anschließend sogar mit dem Aufruf an den Kongreß, dieser solle gefälligst ein Gesetz erlassen, das Englisch zur einzigen offiziellen Sprache der USA macht. Die Folgen davon wären unabsehbar. Wahlinformationen dürften offiziell dann weder in spanisch noch in diversen asiatischen Sprachen gedruckt werden, und zweisprachige Schulen in Regionen mit hohen Minderheits-Bevölkerungsanteilen müßten geschlossen werden.

Gingrichs Auffassung davon, wie gefährlich es sei, Minderheiten die Erhaltung und Entwicklung ihrer Sprache zuzugestehen, ist weit verbreitet. So haben Regierungen weltweit in ihren Ländern, in denen mehr als eine Sprache gesprochen wird, eine offizielle Sprache eingeführt, meist flankiert von Maßnahmen zur Unterdrückung von Minderheitensprachen. Zuweilen war dies eine gängige Praxis von Diktatoren: So verbot beispielsweise Generalissimo Francisco Franco kurz nach seiner endgültigen Machtergreifung das Katalanische; und das „Genie der Karpaten“, Nicolae Ceaușescu, versuchte, die Sprache der großen ungarischstämmigen Minderheit Rumäniens zu eliminieren.

Immer wieder wird die Unterdrückung von Minderheitensprachen als Einigungspolitik angepriesen. Aber die Folgen bewirken eher das Gegenteil, wie sich an den Beispielen Sri Lankas und der Türkei zeigen läßt.

Kurz nach Erlangung der Unabhängigkeit von Großbritannien 1948 konzentrierte sich die Diskussion in Sri Lanka auf die Frage der Dominanz jener etwa zehn Prozent der Bevölkerung, die die englische Sprache fließend beherrschten. Man forderte, daß die Verwaltung und das Rechtssystem durch die Einführung indigener Sprachen der Mehrheit der Bevölkerung zugänglicher gemacht werden sollten. Leider setzten ein Teil der singhalesischen Bevölkerung und die Präsidentin Bandaranaike an Schulen und anderen öffentlichen Institutionen des Landes Singhalesisch als einzige indigene Sprache durch, wodurch ein scharfer Interessenkonflikt mit der tamilischen Minderheit entstand.

Das Land, das für die harmonischen Beziehungen zwischen seinen ethnischen Gruppen bekannt war, spaltete sich daraufhin immer mehr. Inzwischen sind Zehntausende ermordet und Hunderttausende geflohen in einem erbitterten Bürgerkrieg, dessen Ende bis heute nicht abzusehen ist. Zwar haben auch noch andere Faktoren zu Sri Lankas Katastrophe beigetragen, doch die Sprachenpolitik und der mit ihr unternommene Versuch, die Dominanz einer Ethnie zu behaupten, haben den größten Schaden angerichtet.

Auch die Türkei leidet unter einem lange andauernden, bewaffneten Konflikt, der lange durch Versuche angeheizt wurde, den Gebrauch der kurdischen Sprache durch die kurdische Minderheit (etwa 10 Millionen BürgerInnen) zu unterbinden. Noch bis 1980 kamen Kurden in Haft, wenn sie Kurdisch sprachen oder sich „Kurden“ statt „Bergtürken“ nannten, Kassetten mit kurdischer Musik besaßen oder ihren Kindern kurdische Namen gaben. Inzwischen haben sie diese Rechte, dürfen jedoch bis heute weder ethnische Vereinigungen gründen, Kurdisch an Schulen und Universitäten studieren noch ihre Sprache in den elektronischen Medien benutzen.

Soweit es überhaupt möglich ist, in einer unterdrückten Minderheitenbevölkerung eine Art öffentliche Meinung festzustellen, scheint die Mehrheit der türkischen Kurden keinen separaten Staat anzustreben. Viele haben unter dem schon seit mehr als einem Jahrzehnt dauernden Krieg der separatistischen Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) selbst sehr direkt gelitten. Und dennoch hat diese Sprachenpolitik, die in den letzten Jahren vor allem auf Druck Europas modifiziert wurde, die PKK und deren bewaffneten Kampf in gewisser Weise aufrechterhalten.

Man sollte meinen, daß andere Länder von diesen Beispielen gelernt hätten. Dem ist leider nicht so. Ein kleines, neu geschaffenes europäisches Land, Makedonien – das weiß Gott mit genügend anderen Problemen zu kämpfen hat –, drohte Anfang 1995 wegen seiner Sprachenpolitik auseinanderzufallen. Die größte ethnische Gruppe bilden die Albaner, ungefähr ein Viertel der Bevölkerung. Die makedonische Verfassung sieht Albanisch zwar als Unterrichtssprache an Schulen vor, schweigt sich über ihre Verwendung an den Universitäten jedoch aus. Was von der makedonischen Regierung dahin gehend interpretiert wird, daß Albanisch an den Universitäten schlicht verboten ist. Als eine Gruppe von albanischen Makedoniern versuchte, eine albanischsprachige Universität in Skopje zu gründen, schickte man die Polizei. Es kam zu Protesten und schließlich im Februar 95 zu gewaltsamen Auseinandersetzungen, bei denen ein Albaner getötet wurde; viele wurden verletzt, und der Rektor der Universität wurde zusammen mit anderen Beteiligten inhaftiert. Obwohl der Vorfall nicht, wie von vielen befürchtet, unmittelbar zu einer Eskalation des Konflikts führte, ist die Frage des Albanischen an den Universitäten weiterhin ungelöst. Darüber hinaus könnten die Spannungen noch zunehmen, wenn das makedonische Parlament dem Vorschlag seines Sprechers zustimmt und die albanische Sprache für alle Parlamentsgeschäfte verbietet. Sollte das mehrheitlich beschlossen werden, werden die Abgeordneten der albanischen Minderheit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das Parlament boykottieren.

Restriktionen des Gebrauchs einer Minderheitensprache gibt es in vielen Ländern der Erde. Statt zur Einheit zu führen, wie immer behauptet wird, sind sie häufig Anlaß von Konflikten. Denn es gibt ein kaum ebenso wichtiges Mittel zum Ausdruck der eigenen kulturellen Identität wie das Sprechen der eigenen Sprache. Versuche, sie zu unterdrücken, sind ohnehin meist zum Scheitern verurteilt, wie sich am breiten Gebrauch des Katalanischen in Spanien und des Ungarischen in Rumänien heute zeigt. Und man sollte sich klar machen, daß der Impuls, der in Rumänien die Revolution gegen Ceaușescus Diktatur in Gang brachte, von der ungarischen Minderheit in Temesvar ausging.

Möglich, daß Kanada, wenn es sich von einem kanadischen Newt Gingrich hätte raten lassen und die französische Sprache unterdrückt hätte, das Referendum hätte vermeiden können. Viel wahrscheinlicher ist jedoch, daß dies zu noch heftigeren Forderungen geführt und das Land in einen gewalttätigen Konflikt gestürzt hätte wie in so vielen anderen Teilen der Welt. Aryeh Neier

Aryeh Neier ist Präsident des Open Society Institute in New York