■ Grüne müssen Image der rot-grünen Blockpartei abstreifen: Im Rücken aller Parteien
Die Bundesregierung, obwohl bis zum Hals im Schlamassel, wittert nach den Wahlen Morgenluft. Rot-Grün präsentiert sich nicht als selbstbewußte Machtalternative, sondern dank der SPD als selbstquälerische Verlierernummer.
Regelmäßige Appelle an die SPD, endlich rot-grünes Reformprofil zu zeigen und eine klare Richtungsentscheidung zu treffen, werden nicht fruchten. Sie hat weder das Personal noch die politische Entschlossenheit zu diesem Wagnis aufs Ganze. Sie bleibt in die widersprüchlichen Interessen ihrer Wählerschaft eingeklemmt – zwischen strukturkonservativer, national gefärbter Industrie- und Sozialpolitik und den ökologisch aufgeklärten, emanzipatorischen Einstellungen im rot-grünen Spektrum. Sie wird weiter zwischen verdeckter Großer Koalition, hilflosem Lamentieren über die „Politik der sozialen Kälte“ und zaghaften Reformübungen lavieren. Wenn sie in den kommenden zwei Jahren doch noch in Reichweite der Regierungsmacht im Bund kommen sollte, dann nicht als Produkt eigener Stärke, sondern wegen der Unfähigkeit der Bundesregierung, der Krise des „Modells Deutschland“ ernsthaft zu Leibe zu rücken.
Eines sollte der Zwischenerfolg der Bonner Koalition nicht verdecken: ihre Ratlosigkeit angesichts Rekordarbeitslosigkeit, Rekordstaatsverschuldung und Rekordsteuerbelastung für NormalverdienerInnen. Der Reformstau in Politik und Gesellschaft wächst. Die nächste Bundestagswahl wird von denen gewonnen, die am überzeugendsten vorschlagen, was sich ändern muß, ohne die Risikobereitschaft der Bevölkerung zu überfordern.
Die Bündnisgrünen können die treibende Rolle in diesem Wettbewerb spielen – aber nur, wenn sie ihre politische Eigenständigkeit stärken und das Image der rot-grünen Blockpartei endgültig abstreifen. Das schließt weitere Koalitionen mit der SPD nicht aus, wenn Wahlergebnisse und politische Gemeinsamkeiten sie hergeben. Aber rot-grüne Mehrheiten entstehen nicht aus einer Links-links-Allianz. Sie haben nur eine Chance, wenn die Grünen im Rücken aller demokratischen Parteien auftauchen und die ökologischen, linksliberalen, sozialreformerischen und weltoffenen Kräfte in allen gesellschaftlichen Milieus anziehen. Es könnte sein, daß die Auseinandersetzung zwischen Grün und FDP über die Mehrheiten im nächsten Bundestag entscheidet: Es geht um die Richtung, in der sich die Bundesrepublik ändern muß, um zukunftsfähig zu werden. Ralf Fücks
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen