: Der Weitwurf-Wettbewerb
Es ist Frühling – zumindest im Kalender. Bäume zeigen erste Knospen, Hardwarepreise fallen, und ich lade den Akku meines D2-Fahrradtelefons. Die postcebitianische Jahreszeit ist angebrochen, die digitale Stadt, der internationale Schrebergartenverein, der Kinderzirkus und die Freunde der italienischen Oper bereiten sich auf Frühlingsfeste vor. Es wird getanzt, gefuttert und gespielt. Wem Sackhüpfen und Eierlauf nicht reichen, dem sei ein neues Spiel empfohlen: der interaktive Weitwurf-Wettbewerb. Man benötigt dazu jede Menge ausgedienter CD-ROMs. Die aufzutreiben dürfte dem fortgeschrittenen PC-Benutzer nicht allzu schwer fallen: Fast jeder Computerzeitschrift ist eine beigeklebt, manchen sogar zwei oder drei. Die Installations-CDs von AOL und CompuServe, tausend tolle Tricks, tausend supercoole Websides und die tausend schärfsten Shareware-Programme. Auch die überflüssigen Versionen umfangreicher Software-Pakete eignen sich hervorragend. „Microsoft Plus“ zum Beispiel, das nur das Plus in der Tasche von Bill Gates gemeint hat. Weg damit! Das Telefonbuch vom letzten Jahr und das Verzeichnis lieferbarer Bücher, das wegen des Gewichts hervorragende Flugeigenschaften besitzt. Der Otto-Katalog und die T-Online-CD. Das kleckert nur die Festplatte voll.
Weitgehend ungeeignet sind Musik-CDs – wegen der mitunter darin enthaltenen Untertöne. Aber Marusha und Heino (der Wahre!) fliegen auch ganz gut. Als absolut fluguntauglich haben sich das Rödelheim-Hartreim- Projekt und die neue Netscape- Version entpuppt, wohingegen die Gonsbach-Lerchen und der MS Internet Explorer wahre Überflieger sind.
Extrem wichtig ist die Wurftechnik. Am besten wirft man die Scheibe – ganz interaktiv – wie einen Bierdeckel: Mit dem Zeigefinger umfassen und dann mit kräftigem Schwung etwas schräg nach oben. Bei günstigen Windverhältnissen lassen sich locker dreißig Meter und mehr erzielen.
Auch die Preise sollten attraktiv sein: Neben dem obligatorischen Sechserpack 18er Rundstutzen für das gemeine Volk könnte gut ein taz-Jahresabo mit CD-ROM ausgelobt werden. Äußerst amüsant und lehrreich ist auch die gerade erschienene Multimedia-CD mit Werken des Dadaisten Kurt Schwitters. Dem Event absolut angemessen ist jedoch die Monty-Python-CD, die außer Konkurrenz mitfliegen darf, weil sie schon etwas älter ist. Das ist zweifellos das beste Computerprogramm und interaktivste Multimedia-Produkt aller Zeiten. Es trägt den treffenden Titel „The Complete Waste of Time“.
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