: Ein überaus intelligenter Mörder
Der 26jährige Rabin-Attentäter Jigal Amir ist gestern zu lebenslanger Haft verurteilt worden ■ Aus Tel Aviv Amos Wollin
Das Kreisgericht Tel Aviv hat gestern den Jurastudenten Jigal Amir zu einer lebenslänglichen Gefängnisstrafe und sechs Jahren Kerker verurteilt. Der 26jährige war für schuldig befunden worden, am 4.November vergangenen Jahres Israels Ministerpräsident Jitzhak Rabin erschossen zu haben. Das Gericht folgte dem Antrag der Verteidigung nicht, die auf Totschlag plädiert hatte, sondern wertete die Tat als Mord.
Der verurteilte Mörder Jigal Amir zeigte bis zum Schluß des Prozesses keinerlei Zeichen von Reue. In einer kurzen, vom Richter mehrfach unterbrochenen Rede versuchte Amir seine Mordtat noch einmal mit den bereits bekannten Argumenten zu rechtfertigen: Er habe durch seine Tat eine Änderung der Politik im Interesse des Volkes, der Religion und des Staates erzwingen wollen.
Amir hatte während des ganzen Prozesses seinen verschiedenen Verteidigern praktisch keine Chance gegeben, zu seinen Gunsten einzugreifen. Er war zu keinen Kompromissen bereit und stand bis zuletzt fest zu den Motiven seiner Tat. Allerdings habe er den israelischen Ministerpräsidenten nicht töten wollen. Rabin habe „nur“ gelähmt und politisch aktionsunfähig gemacht werden sollen. Dieser These hatte er jedoch vorher selbst widersprochen, als er sich gleich nach dem Attentat zu seiner langgeplanten Mordtat bekannte und seine ideologisch-politischen Gründe dazu vor dem Untersuchungsrichter erklärte. Auch die von Amir verwendeten Dumdumgeschosse, die er aus nächster Nähe abfeuerte, machen seine neue Version unglaubwürdig.
Auch am letzten Verhandlungstag machte Amir mehr den Eindruck eines unbekümmert interessierten Zuhörers beim Prozeß eines anderen Angeklagten. Er war zwar ernster als sonst und lachte seinen Bekannten und Verwandten im Gerichtssaal seltener zu. Auch der übliche Kaugummi fehlte. Aber seine für die Öffentlichkeit aus technischen Gründen kaum hörbare Rede vor der Urteilsverkündung hielt er ohne Zeichen von Nervosität oder Unsicherheit.
Die drei Psychiater, die Amir in der letzten Zeit auf Wunsch des Gerichts untersucht hatten, fanden ihn geistig und psychisch normal. Sie betonten in ihrem Gutachten Amirs überdurchschnittlich hohe Intelligenz und bescheinigten dem Angeklagten lediglich, er sei ein narzistischer Besserwisser.
Viele Israelis zeigten sich irritiert über das Auftreten des jungen Mannes, der so gar nicht „verbrecherisch“ wirkt und als guter Durchschnitt gelten kann. Lea Rabin, die Witwe des ermordeten Regierungschefs, erklärte, sie hätte den Amir-Prozeß nicht verfolgt. Sie wollte sich mit rechtlichen Fragen nicht auseinandersetzen und empfand den Prozeß als „absurdes Theater“. Für sie „bleibt nur der furchtbare Mord und Verlust, mit dem ich leben muß. Mit dem Untermenschen, der keinerlei Reue zeigt, und seinen Motiven kann und will ich mich nicht auseinandersetzen.“
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