: Ein aufgeklärter Modernisierer des Islam
■ Ägyptens Staatspräsident ernennt einen Liberalen zum obersten Scheich der Azhar-Universität, der wichtigsten Rechtsinstitution im sunnitischen Islam
Kairo (taz) – Der alte Großscheich ist tot, es lebe der neue. Seit gestern hat die wichtigste Rechtsinstitution im sunnitischen Islam, die Azhar-Universität in Kairo, einen neuen Chef. Von nun an wird Scheich Muhammad Sayed Tantawi den sunnitischen Muslimen verkünden, was „haram“ – islamisch verboten – oder „halal“ – islamisch geboten ist. Sein Vorgänger Ali Gad al-Haqq war am 14. März im Alter von 79 Jahren verschieden.
Die Ernennung Tantawis, der seit 1986 als ägyptischer Mufti fungierte, ist mehr als nur eine Namensänderung. Mit dem 69jährigen steht nun wieder ein relativ aufgeklärter Scheich der ehrenwerten Azhar-Universität vor. Schon in seinen Zeiten als Mufti stellte er sich immer wieder quer zu den Fatwas und Äußerungen seines konservativen Vorgängers Gad al-Haqq. Tantawi legte den Islam stets äußerst „modern“ und „liberal“ aus. Er unterstützte die Weltbevölkerungskonferenz in Kairo, die Weltfrauenkonferenz in Peking, hieß Bankzinsen im Interesse der Gemeinschaft für gut, stimmte Organtransplantationen islamisch zu und hatte auch nichts gegen Spielkasinos und den Ausschank von Alkohol, solange dies auf Nichtägypter begrenzt blieb.
Gad al-Haqq dagegen sagte zu alledem kategorisch nein. Den Höhepunkt erreichten Gad al-Haqqs konservative Islaminterpretationen in den letzten Jahren vor seinem Tod. Nicht nur die Beschneidung von Frauen legitimierte er islamisch, auch eine neue Form des Ehevertrags, die den Frauen mehr Rechte gab, blockierte er mit islamischen Argumenten. In Gad al- Haqqs traditionalistischem Visier standen auch die säkularen Intellektuellen. Im vergangenen Jahr setzte er sich dafür ein, den Film „Der Emigrant“ von Yussuf Schahin, des berühmtesten ägyptischen Filmemachers, aus den ägyptischen Kinos zu verbannen. Der Film bilde Propheten ab und das sei islamisch illegitim, argumentierte der Scheich. Im gleichen Sinne führte Gad al-Haqq auch einen Kampf gegen jeglichen Versuch, das Buch des ägyptischen Literaturnobelpreisträgers Nagib Mahfuz, „Die Kinder unserer Gasse“, in Ägypten zuzulassen.
Mit diesem Spuk, so hoffen die liberalen Intellektuellen, macht die Ernennung Tantawis nun endgültig Schluß. Sie sehen in ihm den Modernisierer des Islam; einen aufgeklärten Rechtsinterpreten, der in Zukunft den konservativen Islamisten die offizielle islamische Legitimation entziehen wird. Tantawis letzten Spruch als Mufti erließ er denn auch im Interesse des ägyptischen Linguistikprofessors Nasr Hamid Abu Zeid, der im Vorjahr von einem ägyptischen Gericht als vom Islam Abtrünniger von seiner Frau geschieden wurde. Es sei nicht das Recht irgendeines Gerichts, jemanden zum Apostaten (Ungläubigen) zu stempeln, solange sich dieser offiziell zum Islam bekenne, urteilte der Mufti.
Tantawi hat nur ein Problem: Sein Standbein im religiösen Establishment ist äußerst wacklig. Viele sehen in ihm einen Staatsbeamten, der die Befehle der ägyptischen Regierung brav ausführen wird. Im Gegensatz zu Gad al- Haqq, der wie die meisten Azhar- Scheichs islamisches Recht studiert hat, ist Tantawi ein Spezialist für Koran-Exegese. Für viele klassische muslimische Rechtsgelehrte ist er damit ungeeignet für den neuen Posten. „Das ist, wie wenn ein praktischer Arzt zum Gehirnchirurgen ernannt wird“, meinte ein Azhar-Professor abschätzig.
Seit 1961, als die Azhar unter Gamal Abdel Nasser praktisch verstaatlicht wurde, bestimmt der ägyptische Präsident den obersten Azhar-Scheich. Nach dem Tode Gad al-Haqqs fragten die ägyptischen Medien, ob Präsident Mubarak tatsächlich den Mut aufbringt, als 43. Azhar-Scheich den weltoffenen Tantawi gegen die Mehrheit der eher konservativen Azhar-Gelehrten zu ernennen. Mubarak hielt nicht einmal die üblichen 40 Tage Trauer ein. Nach nur zwei Wochen ließ er die Katze aus dem Sack. Karim El-Gawhary
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