piwik no script img

Ungläubiger Blick nach Brandenburg: Dort soll mit "Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde" ein Schulfach eingeführt werden, das Konservative wie Kirchen alarmiert. Heute entscheidet der Landtag, ob die vierte Lesung in Karlsruhe stattfindet.

Ungläubiger Blick nach Brandenburg: Dort soll mit „Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde“ ein Schulfach eingeführt werden, das Konservative wie Kirchen alarmiert. Heute entscheidet der Landtag, ob die vierte Lesung in Karlsruhe stattfindet.

11. Gebot: Du sollst nicht LER begehren

Heute muß sich der brandenburgische Landtag entscheiden: Riskiert er mit dem neuen Schulgesetz eine Klage der Kirchen und der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vor dem Bundesverfassungsgericht oder nicht? Die Abgeordneten in Potsdam stimmen über die Einführung einer umstrittenen Innovation in der Schulfächerlandschaft ab: „Lebensgestaltung- Ethik-Religionskunde“. Im Mittelpunkt soll „Werteerziehung“ stehen – Lebensorientierung, Toleranz sowie die Achtung anderer Religionen. LER soll ein „fröhliches“ Fach sein, ohne Leistungsdruck, ohne Noten. Seit 1992 wird es in einem Modellversuch an 41 Schulen getestet.

Den Kirchen ist LER ein Dorn im Auge. Denn mit der Einführung von LER als Pflichtfach soll Religion „zur freiwilligen Teilnahme“ angeboten werden. Sie wollen ihren Schäflein aber ein „ordentliches Lehrfach“ angedeihen lassen – auch wenn es kaum noch Schäflein gibt. Mehr als 80 Prozent der brandenburgischen Bevölkerung sind konfessionslos. Den Religionsunterricht besucht höchstens jeder zehnte – ein Trend, der auch im Westen beobachtet wird.

Der anfangs allenfalls regional bedeutsame Streit hat sich zu einer erbitterten weltanschaulichen Debatte emporgeschraubt. Sogar der Bundestag glaubte vor zwei Wochen, sich in die Gesetzgebung einmischen zu müssen: Das Vorhaben verstoße gegen das Grundgesetz, in dem Religion als Pflichtfach an staatlichen Schulen vorgeschrieben sei. Für CDU/CSU-Fraktionschef Wolfgang Schäuble gefährdet die Neuerung gar „die Grundvoraussetzungen staatlich geregelten Zusammenlebens“. Mit dem Versuch des Staates, sich an die Stelle der Kirchen zu setzen, sei LER eine „Einladung an totalitäre Versuchungen“. Bischöfe und Kardinäle drohen damit, daß es nach der heutigen dritten Lesung des Schulgesetzes bald eine vierte geben wird – vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Die Kirchen sind entschlossen, dem Grundgesetzartikel 7 („Der Religionsunterricht ist ... ordentliches Lehrfach“) in Brandenburg Geltung zu verschaffen.

Die Bildungsfragen des Modellversuchs „Lebensgestaltung- Ethik-Religionskunde“ sind in den Hintergrund getreten. Lebensgestaltung („Laßt uns über Eure Probleme reden“) und Ethik, die den allseits beklagten Werteverlust der Kids kompensieren sollen, sind in der öffentlichen Diskussion längst kein Thema mehr. Im Mittelpunkt der drei Versalien L-E-R steht nur noch das R. Und das bedeutet stets etwas anderes: „Religion“ hieß es zu Beginn des Modellversuchs. Später stand R unverbindlicher für „Religionen“. Mittlerweile haben sich Brandenburgs Regierende auf „Religionskunde“ geeinigt – weil es so schön neutral klingt.

Diese Neutralität kommt nicht von ungefähr. LER soll zwar alle Schüler erreichen und Werte vermitteln – aber eben keine Weltanschauungen. „LER soll keine Religion bekennend vermitteln, sondern Wissen über die verschiedenen Religionen“, formuliert es Bildungsministerin Angelika Peter (SPD).

Zeitweise tauchten für diese Vermittlung auch konfessionelle Religionslehrer im LER-Unterricht auf, sogenannte „authentische Vertreter“. Inzwischen weigern sich die Bischöfe Wolfgang Huber und Georg Sterzinsky standhaft, ihre Adlaten zu entsenden. Es reicht ihnen nicht, daß die Reli-Lehrer hin und wieder engelsgleich als Vertreter einer Glaubensüberzeugung einschweben.

Verweigern sich die Kirchen weiter, steht das Land Brandenburg vor einer Aufgabe, die ihm strenggenommen nicht zusteht: Er müßte die R-Lehrer selbst ausbilden – und die ihm auferlegte inhaltliche Zurückhaltung in Weltanschauungsfragen aufgeben. Entsprechend schwer fällt es auch der Bildungsministerin, die künftigen R-Lehrer zu beschreiben: „Das sind keine staatlichen Religionslehrer, und es sind auch keine Religionskundler, der Begriff ist einfach falsch, es ist die Dreiteilung von LER, die da mit einfließen muß“, windet sich Angelika Peter.

„Die LER-Lehrer sollten nicht den Hut aufhaben“, lautet die simple Lösung des Schulpädagogen Achim Leschinsky für den Streit. Die konfessionellen Religionslehrer sollten den LER-Pädagogen gleichgestellt sein, so Leschinsky, der in einem Begleitgutachten das Fach sehr positiv beurteilt. Seine Kritik richtet sich auf den minderen Status der „authentischen Vertreter“.

In der öffentlichen Debatte über das Verhältnis von Staat und Kirche scheint es auf den ersten Blick, als würde Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) als „roter Bismarck“ den Kulturkampf des Eisernen Kanzlers vollenden. Bismarck hatte 1870 die Schulen der geistigen Aufsicht der Kirche entzogen. Dabei gibt Stolpe gar nicht den Scharfmacher ab. Stets auf der Suche nach Kompromissen, bot er den Kirchen auch schon an, die Schüler sollten LER abwählen können. Doch was als Konsensangebot gedacht war, heizte den Schulstreit aufs neue an. Indirekt hatte er damit nämlich den Eindruck erweckt, LER sei weltanschaulich gar nicht neutral. Warum sonst hätte er die Abwahlmöglichkeit angeboten? Die Kirchen trompeteten, LER sei Weltanschauungsunterricht – dem Staate also verboten.

Vor allem aber gab Stolpe der SPD-Fraktion Anlaß, im Landtag Jakobiner zu spielen. Die mit absoluter Mehrheit ausgestattete Fraktion hat die Abwahlmöglichkeit bisher abgelehnt. Neu ist ihr letztes Kompromißangebot: Aus „gewichtigem Grund“ könnten Schüler von LER befreit werden.

Die bündnisgrüne Marianne Birthler, die als Bildungsministerin LER anschob, hat den Streit satt. Man solle das Fach „Gott und die Welt“ nennen, meint sie lakonisch. Dann wäre es offen für alle. Christian Füller, Berlin

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen