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Befreite Barbie mit Kens Sprachcomputer

■ Craig Baldwins Cut-up-Dokfilm „Sonic Outlaws“ über Künstler und Copyright

„Beethoven wäre bis heute nicht nicht aus dem Zeugenstand rausgekommen“, würde das Urheberrecht nicht fünfzig Jahre nach dem Tod des Autoren enden, lacht einer der Künstler in „Sonic Outlaws“. Auch er hat schon einen Plagiatsprozeß hinter sich.

1991 verklagte „Island“, die Plattenfirma von U2, die kalifornische Band Negativland wegen ihrer Version des U2-Hits „I Still Haven't Found What I'm Looking For“. Angeblich könnten U2-Fans aus Versehen die Platte kaufen, hieß es. Das Independent-Label SST gab sofort klein bei, ließ die Restauflage einstampfen und verklagte Negativland wegen der entstandenen Kosten. Die sind seitdem pleite und konnten keine einzige Platte mehr herausbringen.

Ausgehend von diesem Fall dokumentiert Craig Baldwin in „Sonic Outlaws“ die Probleme, die moderner künstlerischer Ausdruck heutzutage fast notgedrungen mit dem Copyright bekommen muß. Ob nun die 2 Live Crew und ihre Version von Roy Orbisons „Pretty Woman“ (die Rapper gewannen ihren Fall vor Gericht), das Mad-Magazin gegen Disney oder die Barbie Liberation Organization, die die Sprachprogrammierung von Barbies und Kens vertauschte und die Puppen zurück in die Läden schmuggelte, um Kinder in ihren Geschlechterrollen zu erschüttern. Der Blick geht auch zurück zu William Burroughs und dessen Cut-up-Technik, zum „detournement“ der Pariser Situationisten, bis zu Dada, zu Heartfield, Hausmann, Schwitters und ihren Collagen.

Aber „Sonic Outlaws“ hat nur noch rudimentär etwas mit einem Dokumentarfilm zu tun. Ganz seinem Gegenstand verpflichtet montiert Baldwin eigene Aufnahmen, Werbeclips, Schnipsel aus Nachrichten, Dokumentar- und Spielfilmen (zum Beispiel „Frankenstein“), TV-Prediger und Politiker aberwitzig und manchmal gar zu furios miteinander. Zusätzlich bearbeitet er das gesamplete Material, läßt den Ton langsamer und schneller laufen, benutzt Zeitraffer und Zeitlupe, verfremdet die Bilder und schneidet suggestiv, läßt Bild- und Tonspur asynchron laufen. Oder unterlegt ein Telefoninterview mit dem U2-Gitarristen The Edge mit scheinbar beziehungslosem Material.

Das ist sehr anstrengend, oft mehr, als der Kopf verarbeiten kann, funktioniert aber irgendwann wie ein HipHop-Song, wenn man sich nur auf den Groove einläßt. Und vor allem darf man nicht die übliche Erwartung an einen Dokumentarfilm stellen, daß ein konkretes Bild des Sachverhalts entsteht. Denn schließlich kann es heute, wo die audiovisuellen Modulationsmöglichkeiten nahezu unbegrenzt sind, keine Wahrheit in Bildern mehr geben. Fazit: Urheberrecht und Autorschaft sind überholte Vorstellungen. Ironie der Geschichte: Bei ihren Multimedia-Auftritten während der „Zooropa-TV“-Tournee verwendeten U2 selbst jede Menge TV- Samples, taten also „genau das, wofür sie uns vor Gericht brachten“, merken Negativland an, eine gewisse Bitterkeit nicht verhehlend. Thomas Winkler

„Sonic Outlaws“. Bis 3. 4., täglich 23.30 Uhr, Eiszeit-Kino, Zeughofstraße 20, Kreuzberg

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