Mit 17 hat man noch Träume?

Am 17. April 1979 erschien die erste reguläre Ausgabe der taz – das war vor 17 Jahren. Nicht alles ist noch so, wie es damals war. Und vieles wird in 17 Jahren nicht mehr so sein, wie es jetzt ist. Lesen Sie heute, wie wir uns das Übermorgen erträumen...

1979: In der Bundesrepublik und der taz tobt eine Debatte darüber, ob die Grünen außerparlamentarische Bewegung bleiben oder eine parlamentarische Partei werden sollen. Auch in der SPD. Während Freimut Duve, Mitglied der „Grünen in der SPD“, die Grünen für koalitionsfähig hält, meint sein Parteikollege Karsten Voigt in der taz: „Der Grünen-Partei wird es so schwer fallen, zum Kompromiß in sich selber fähig zu werden, daß sie zum parlamentarischen Kompromiß mit der SPD gar nicht mehr in der Lage wäre, ohne daran innerlich zu zerbrechen. Verändert sie sich so, daß sie zum parlamentarischen Kompromiß mit der SPD in der Lage wäre, würde sie sich mit ihren Abgeordneten im politischen Charakter nicht mehr von denjenigen Linken unterscheiden, die zum Kompromiß innerhalb der SPD in der Lage und bereit sind.“ Fazit: Im Parlament sind Grüne entweder politikunfähig oder, wenn sie politikfähig sind, überflüssig.

1996: In Nordrhein-Westfalen haben es taktische Fehler der Grünen der Betonfraktion der SPD leichtgemacht, die Grünen zu erpressen. Die rot-grüne Regierungskoalition ist in Gefahr. Für die grünen Kreisverbände aus Dortmund, Bochum und zahlreiche Mitglieder aus dem Revier und dem Großraum Köln ist die Schmerzgrenze erreicht. Sie wollen die Koalition beenden, denn, so Jürgen Mohr, Sprecher der Dortmunder Ratsfraktion, „mittel- oder langfristig gehen die Grünen in diesem Bündnis den Bach runter. Was bleibt denn übrig von unseren Vorstellungen und Zielen?“ Doch der Landesparteitag der Grünen entscheidet sich dafür, dem Haushalt zuzustimmen und die Koalition fortzusetzen.

2013: Die Sektkorken knallen im Ollenhauer-Haus. Die SPD hat die Fünfprozenthürde lässig geschafft und dank versteckter Wahlhilfe der Grünen fast doppelt so viele Stimmen wie die FDP erhalten, die mit vier Prozent nun endlich und wirklich rausfliegt. Die Grünen sind weiterhin auf die Stimmen des kleineren Koalitionspartners angewiesen. Bundeskanzlerin Antje Vollmer bietet der SPD neben dem Ressort Arbeit und Sozialordnung das Ressort für Familie, Senioren, Männer und Jugend an.

1979: „Daß die taz oft einen Tag später kommt, stört mich nicht. Dann besorg' ich mir zum Frühstück halt die Brötchen von gestern und tu' so, als hätte es den Tag nicht gegeben.“ So schreibt eine Leserin (auf Seite 3, der Leserbriefseite, die noch nicht durchs Tagesthema in den Hintergrund gedrängt ist). Die Kulanz und Nachsicht, die aus solchen Sätzen spricht, ermöglichen es der taz, allen widrigen Umständen zum Trotz zu überleben.

1996: Das Problem ist immer noch nicht behoben, aber immerhin wurde endlich die Schuldfrage geklärt. „Hallo, Du hast Dich vor einigen Tagen wegen unregelmäßiger Zustellung der taz beschwert, woraufhin wir einen Antrag auf Überprüfung bei der Post stellten“, heißt es in einem Schreiben der taz-Aboabteilung an einen verärgerten Leser, dem es an Kulanz und Nachsicht offensichtlich gebricht. „Die Post hat den Antrag mit der Begründung, die Ursache der Verspätungen lägen nicht an ihr bzw. die Verspätungen seien nicht häufig genug, abgelehnt. Das ist eine Frechheit, weil es unwahr ist. Wir werden dagegen angehen und in dieser Sache auch die Generaldirektion der Post einschalten [...]. Das Ganze ist sehr ärgerlich, und wir werden das nicht ohne weiteres hinnehmen. Wenn Du – außer bei uns – Dich bei der Post beschweren möchtest, dann können wir Dir eine Adresse der Generaldirektion in Bonn geben; das ist unser ,höchster‘ Ansprechpartner bei der Post: Deutsche Post AG, Generaldirektion, Abt. 132-3, Postfach 3000, 53105 Bonn.

Mit freundlichen Grüßen...

2013: Das Problem ist behoben. Nachdem auch die „Neue Post“, der „Courrier AG“ und der „Rapido GmbH & Co. KG“, alle drei nach der Privatisierung der Deutschen Post entstanden, nicht zuverlässig belieferten, hat die taz ein eigenes Vertriebsnetz aufgebaut. Kleinere Blätter wie die Norddeutsche Zeitung (NZ), die Münchner Rundschau (MR) und die Hamburger Allgemeine Zeitung (H.A.Z.) profitieren vom taz- Vertriebssystem insofern, als daß sie es zu Gefälligkeitspreisen mitnutzen dürfen. Die taz hat ein altes Anliegen über alle Zeiten hinweggerettet – das der Pressevielfalt.

1979: Der taz noch das große I. Am 17. 4. klagen die taz-Frauen über ihre Arbeit: „...dazu kommt die Schwierigkeit, typisch weibliche Schreibweisen, Darstellungsformen, Inhalte zu bestimmen“.

1996: Der taz oftmals wieder das große I. Es hat sich nach dem langen Kampf um typisch weibliche Schreibweisen, Darstellungsformen und Inhalte rar gemacht.

2013: Der taz nie mehr das große I. Geschlechtlich nicht weiter ausgewiesene Personen werden nun konsequent ins Neutrum gesetzt. Punktum.

1979: Es herrscht wieder Treckstimmung in Lüchow-Dannenberg. Der durch die Atompläne der Bundesregierung bedrohte Landkreis erlebt eine Neuauflage des legendären Zugs der Landwirte nach Hannover. Gerd Albrecht, Ministerpräsident von Niedersachsen, trifft sich in Bonn mit dem Kanzler, um über die Zukunft Gorlebens zu diskutieren, aber mehrere hundert Atomkraftgegner zeigen, daß sie sich mit Albrechts Entscheidung, den Bau einer Wiederaufbereitungsanlage in Gorleben zu verschieben, nicht beruhigen lassen. Die Situation, heißt es in einem Flugblatt, sei verworrener denn je. Weiter seien Meßtrupps der Deutschen Gesellschaft für Wiederaufbereitung von Kernbrennstoffen (DWK) im Forst von Gorleben unterwegs.

1996: Es herrscht wieder Alarmstimmung in Lüchow-Dannenberg. Der Landkreis erlebt eine Neuauflage des größten Polizeiaufgebotes des bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte, das im letzten Frühjahr nötig geworden war, um die Einlagerung des ersten Castor-Behälters für abgebrannte Brennelemente in Gorleben durchzusetzen. Weitere Transporte stehen bevor. Die Bürgerinitiative hat zu bundesweiten Aktionen aufgerufen. In einer Erklärung schreibt sie, es gehe nicht nur um das Zwischenlager von Gorleben, sondern um den Kampf gegen das gesamte Atomprogramm der Bundesregierung.

2013: In Lüchow-Dannenberg wird wieder für den Tag X mobilisiert. Im Landkreis steht eine Neuauflage der bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzung um die Abholzung des Waldes von Gorleben bevor. Niedersachsens Ministerpräsident Trittin trifft sich in Bonn mit Bundeskanzlerin Vollmer, um über die Zukunft des oberirdischen Atomendlagers zu sprechen. Obwohl die Landesregierung dem Bau der geplanten zweiten Castor- Lagerhalle auf der gerodeten Fläche abgelehnt hat, sei die Situation verworren, schreibt die Bürgerinitiative. Sie hält das Gelände weiterhin besetzt und ruft zu bundesweiten Aktionen gegen den Baubeginn auf. Auch nach der Stillegung des letzten AKWs auf deutschem Boden müsse der Kampf gegen die Atompläne der Bundesregierung fortgesetzt werden.

1979: Die Revolution hat gesiegt. In Managua, der Hauptstadt Nicaraguas, hat sich die Nationalgarde des Diktators Somoza den sandinistischen Rebellen ergeben. Hunderttausende feiern die Befreiung des Landes von einer der grausamsten Diktaturen Lateinamerikas. Eine revolutionäre Junta macht sich daran, das Land umzuwälzen. Als ihr wichtigster Führer schält sich schon bald Daniel Ortega, der spätere Präsident, heraus.

1996: Daniel Ortega, seit sieben Jahren Oppositionsführer, liegt wenige Monate vor den Präsidentschaftswahlen auf Platz zwei – hinter Alvaro Robelo, einem Multimillionär, der seine Flugblätter aus der Luft abwerfen läßt, sich als Antipolitiker präsentiert und sich gern mit Silvio Berlusconi und Alberto Fujimori vergleicht.

2013: Bei einer Massenkundgebung auf der Plaza Chamorro ruft Landesvater Daniel Ortega, seit drei Jahren wieder Präsident des Landes, die zweite Revolution aus. Mit schwarzroten Tüchern vermummte neosandinistische Rebellen stören die Versammlung massiv. Sie fordern die Enteignung der Großgrundbesitzer, die Verstaatlichung der Industrie, eine allgemeine kostenfreie Gesundheitsversorgung sowie die Auflösung der Armee und Schaffung eines Volksheeres. Altrevolutionär Ortega versucht den Störern zu erklären, daß die Zeiten sich geändert hätten. Vergeblich. Seine Rede geht im Tumult unter.

1979: „Heute ziehen uns die Punks an, weil sie als Amateure spielen“, schreibt die taz-Initiative Hamburg am 20. Januar, unmittelbar vor dem Eintritt ins alternative Profitum. „Auf der einen Seite schon wieder total vermarktet, haben die Punk-Gruppen eine neue Form von Selbstdarstellung entwickelt“. Kurz darauf stirbt Sid Vicious an einer Überdosis, und Punk wird Geschichte.

1996: Die Sex Pistols feiern Reunion – ohne Sid Vicious. Am 6. Juli soll die „Helter-Skelter-Tour“ in Berlin gastieren, die Agentur „Activ-Point“ richtet eine „Sex- Pistols-Hotline“ ein und eröffnet den Kartenabsatz „an allen renommierten Vorverkaufsstellen“. Das Live-Album der Tour löst die Beatles-„Anthology“ zum Jahresende an der Spitze der LP-Charts ab.

2013: Die Punk-Generation quält die Musikredaktionen mit der Forderung nach Sex-Pistols-Coverstories. Alle müssen mitmachen, außer dem Rolling Stone, der die Rolling Stones bringt, und der taz, die inzwischen voll im Griff kregler Techno-Mittdreißiger ist. Eine Sex-Pistols-Haßkampagne wird im Feuilleton gefahren. Trotzdem erscheint ein Bericht über die große Reunion der Sex Pistols (mit Sid Vicious!) im gerade durch neuartige Speichermedien möglich gewordenen Bio-Cyber-Simulator.

1979: Heute beginnt in Paris die parlamentarische Diskussion um die zukünftige Fassung des Abtreibungsgesetzes. Die alten Gesetzesbestimmungen von 1920 sind im Grunde nie aufgehoben worden. 1975 wurden sie lediglich für fünf Jahre durch die provisorische Fristenlösung mit Indikation ersetzt. Das Recht auf Abtreibung und damit das Recht auf erwünschte Kinder ist in Frankreich akut gefährdet. Um dieser Gefahr entgegenzuwirken, rufen die Frauen am 6. 10. zu einem Marsch auf Paris auf. Ihren Appell unterschreiben mehr als 5.000 Frauen.

1996: Die Zahlen, die soeben in Polen vorgestellt wurden, sind beeindruckend. Seit Januar 1993, als das restriktive Abtreibungsgesetz in Kraft trat, sind die offiziell durchgeführten Abbrüche um 88 Prozent gesunken. Noch 1990, als der Schwangerschaftsabbruch bereits durch einen Erlaß des Gesundheitsministers erschwert wurde, waren es 60.000, zwei Jahre zuvor hatten noch 105.000 Frauen den Eingriff vornehmen lassen. Die Zahl sank in den folgenden Jahren rapide: 1993 waren es nur noch 777 Frauen, die die Erlaubnis zu einem Schwangerschaftsabbruch erhielten: Sie waren schwer krank, vergewaltigt worden oder hätten ein nicht lebensfähiges Kind ausgetragen. 1994 lag die Zahl mit offiziell 782 Abtreibungen ähnlich niedrig. Die Zahl der Abtreibungen ist aber wahrscheinlich nicht wirklich gesunken. Durch die Folgen des Gesetzes werden offenbar viele Frauen in die Hände von Kurpfuschern getrieben.

2013: Der Schwangerschaftsabbruch wird inzwischen nahezu weltweit strafrechtlich verfolgt. Die Vorzeichen haben sich umgekehrt: Befürchtete man Anfang des Jahrtausends noch die explosionsartige Zunahme der Weltbevölkerung, haben die Umweltbelastungen in den letzten zehn Jahren ihre einschneidenden Wirkungen gezeigt. Die Menschheit wird immer unfruchtbarer. Der globale Zuwachs an Auto- und Industrieabgasen sowie ungesicherten Giftmüllablagerungen und radioaktiver Strahlung haben nach Angaben einer WHO-Studie dazu geführt, daß nur noch 10 Prozent der Frauen im gebärfähigen Alter schwanger werden. Deshalb ist heute jedem Land jedes Kind recht. Die Dunkelziffer illegaler Abbrüche ist horrend.

1979: Obwohl kein Ölteppich gesichtet wurde, findet man in diesem Winter an der Nordseeküste Deutschlands und Dänemarks Tausende von Vögeln mit ölverschmiertem Gefieder. Nach Ansicht von Wissenschaftlern sterben allein in der Nordsee und im Nordatlantik jährlich 200.000 bis 500.000 Vögel an der schleichenden Ölpest. Nur ein Bruchteil von ihnen wird an die Küsten gespült, die Mehrheit versinkt in den Fluten. Trotz weltweiter Aufmerksamkeit, die der Unfall des Tankers Amoco Cádiz vor der bretonischen Küste fand, reißt die Kette der Havarien nicht ab. Der Arbeiterkampf weist allein bis zum März 1979 sieben größere Unglücke nach. Ihre Ursachen sind nicht allzuschwer zu erklären: Bei den Reedereien steht der Profit im Zweifelsfall vor der Sicherheit.

1996: Aus dem Öltanker Sea Empress sind vor der Küste von Wales mehrere hundert Millionen Liter Rohöl ausgelaufen. Der unter liberianischer Flagge fahrende Tanker war in der Nacht in der Bucht von Milford Haven auf Grund gelaufen. Ob die nur drei Jahre alte Empress einen Maschinenschaden hatte oder die russische Crew Fehler machte, blieb zunächst unklar. Ein starker Wind erschwerte tagelang die Bergungsarbeiten. Nachdem die Sea Empress mit leckendem Tank drei Kilometer vor die Küste geschleppt worden war, treibt nun ein mehrere Kilometer langer Ölteppich auf ein Vogelschutzgebiet zu, das in der europäischen „Habitat“-Richtlinie als „in ganz besonderem Maße schutzwürdig“ ausgewiesen ist.

2013: Überdurchschnittlich gut hat sich in diesem Jahr bei der Elektrolux-Hausgeräte-Genossenschaft die Sparte „Vogelwaschanlagen“ entwickelt. Schuld daran ist die neue Bundesverordnung, wonach sämtliche Küstengemeinden verpflichtet werden, Rettungsstationen für Vögel einzurichten. In langsam rotierenden Waschtonnen wird das ölverschmierte Gefieder mit speziellen milden Waschlaugen gereinigt. Der Bundesverband der Seevogelwarte schätzt, daß auf diese Weise an der deutschen Nord- und Ostseeküste etwa 450.000 Vögel vor dem sicheren Tod gerettet werden konnten. Die Dunkelziffer der tatsächlichen Opfer von Tankerunfällen sei allerdings immer noch sehr hoch, warnte der Verbandssprecher.

1979: Zum 30. Jahrestag der DDR veröffentlicht Robert Havemann, neben Rudolf Bahro prominentester Dissident in Honeckers Staat, ein Manifest mit zehn Thesen. „Die Deutsche Demokratische Republik“, behauptet er, „ist auf dem Weg in die Zukunft, die Sozialismus heißt, der westdeutschen Bundesrepublik und den andern westeuropäischen Industriestaaten weit voraus [...]. Der Kapitalismus ist in seine Endphase eingetreten.“ Doch der Regimekritiker fordert unter anderem die Aufhebung der Zensur, die Entlassung der politischen Häftlinge, die Herabsetzung der Altersgrenze für Westreisen und die Publikation seiner Thesen im Neuen Deutschland.

1996: Nachdem im Vorjahr ein übermüdeter oder gelangweilter Schöffe eingenickt ist, wird in Frankfurt (Oder) zum zweitenmal ein Verfahren gegen die Richter eröffnet, die Havemann 1976 auf Geheiß der Stasi unter Hausarrest und drei Jahre später ebenso rechtswidrig zu einer hohen Geldstrafe verurteilt haben. Ziel dieser Prozesse sei nicht die Herstellung von Gerechtigkeit gewesen, meint die Anklage, sondern, den inzwischen verstorbenen Regimekritiker mundtot zu machen.

2013: Eine Bürgerinitiative von Bewohnern der Havemannstraße (früher Erich-Glückauf-Straße) in Berlin-Marzahn fordert die Umbenennung ihrer Straße. Der Berliner Fraktionschef der FDP, Rainer Zitelmann, greift ihr Anliegen im Abgeordnetenhaus auf. Die neuere historische Forschung habe erwiesen, so argumentiert er, daß Havemann Deutschland als Kommunist mehr geschadet denn als Dissident genützt habe. PDS-Fraktionschef Hanno Harnisch setzt sich, unterstützt durch Abgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen, für die Beibehaltung des Namens ein. Havemann sei ein demokratischer Sozialist gewesen. Beifall kommt auch von einigen Abgeordneten der SPD.

1979: Anläßlich des Beginns der Probebohrungen in Gorleben prophezeit die taz am 21. 6. den rapiden Niedergang des Bundesligaklubs Hertha BSC, da nun noch mehr Talente die Stadt verlassen würden, um „in atomfreien Ländern wie Island, Malta, Zypern, Neuguinea oder Nepal“ zu spielen, „deren kometenhafter Aufstieg im Weltfußball“ somit abzusehen sei. Auch das „Heranwachsen dreiarmiger Torhüter“ beim Betrieb der WAA werde sich kaum positiv auswirken, da diese von finanzkräftigen Vereinen weggelockt würden, während Berlin aufgrund der radioaktiven Strahlung ins Abseits geriete.

1996: Die Vision ist im wesentlichen eingetroffen – abgesehen vom Bau der WAA.

2013: Die Hauptstadt hat inzwischen 30 Millionen Einwohner, aber immer noch keinen Erstligaklub. Hertha hat den Aufstieg wieder nicht geschafft. Als Sofortmaßnahme bestimmt DFB-Präsident Paul Breitner auf einer siebenstündigen PK den 48jährigen Lothar Matthäus („Mein Ziel ist die WM 2018“) zum Spielertrainer von Hertha BSC. „Der Platz von Lothar Matthäus ist im Mittelfeld“, erklärt der neue Hertha-Coach, und die taz höhnt: „Da wird er mit Hertha auch landen.“

1979: „Radio und Zeitungen haben jetzt aufgehört, uns die Ohren mit ihrer Propaganda zum Thema ,Klassenkampf‘ vollzuplärren. Der Grund liegt zum Teil ganz sicher darin, daß dieser Refrain zum magischen Abrakadabra der Viererbande gehörte, aber bestimmt auch, weil die Massen davon genug haben: Es ist nicht mehr möglich, das Volk nach dieser Musik marschieren zu lassen. Leider muß man sagen, das vom Volk so gehaßte politische System hat sich um keinen Deut verbessert: Was die erwartete Freiheit und Demokratie angeht, so verdienen sie nicht einmal, erwähnt zu werden.“ Wei Jingsheng, Autor der zitierten Wandzeitung, die zum Manifest der „Demokratischen Bewegung“ wurde, wird zu fünfzehn Jahren Gefängnis verurteilt.

1996: Drei chinesische Dissidenten, die sich für die Freilassung des prominenten Bürgerrechtlers Wei Jingsheng eingesetzt haben, sind wieder auf freiem Fuß. Wei ist im Vorjahr zu weiteren vierzehn Jahren Haft verurteilt worden. Acht japanische Abgeordnete schlagen den Häftling für den Friedensnobelpreis vor.

2013: Am 24. Jahrestag des Massakers von 1989 verkündet Justizminister Wei Jingsheng auf dem Platz des Himmlischen Friedens eine Amnestie für die Verantwortlichen. Der ehemalige Regierungschef Li Peng gelobt, den Rest seines Lebens in einem tibetischen Kloster zu verbringen. Der Dalai Lama prüft zur Zeit das Gesuch des früheren chinesischen Spitzenpolitikers.

1979: In der Wattstraße herrscht die sonderbare Stimmung, zwar die unmittelbare Umgebung für tendenziell befremdlich, die Ferne aber für höchst vertraut und heimelig zu halten. Auch fühlt man sich der Ferne gegenüber irgendwie verpflichtet, tut Dienst in Nicaragua, trägt Nähmaschinen nach Simbabwe und Sportwäsche nach Bangladesch. Die taz-Kulturredaktion, die sich in dieser Angelegenheit keineswegs lumpen lassen will, nennt ihre Seiten deshalb Kulturen. Interessanterweise hat das – jedenfalls was die ersten 63 Ausgaben betrifft – nicht einen einzigen Artikel über ausländisches Kulturschaffen zur Folge.

1996: Nun, man hat in den vergangenen 17 Jahren allerhand einräumen, abspecken und bedenklich zurückziehen müssen in Sachen Hinwendung zum Ausland. Was aber insofern konvenient war, als es ja in Berlin ein Haus der Kulturen der Welt gibt! Warum – so müssen wir fragen – in die Ferne schweifen? Sieh, das Jute liegt so nah! Man nennt sich, etwas moderater geworden, Kultur.

2013: Warum überhaupt noch vor die Tür gehen. Wo Salman Rushdie inzwischen Ressortleiter geworden ist! Das Ressort dazu nennt sich, was erwarten Sie denn, Kult!

1979: Postminister Horst Gscheidle (SPD) übt sich in „aktiver Marktpolitik“, um seine Behörde in ein leistungsstarkes Unternehmen zu überführen. Als Zusatzgerät zum herkömmlichen Telefon bietet die Post jetzt einen „Telekopierer“ an, mit dem es möglich ist, schriftliche Vorlagen im A4-Format per Fernsprechleitung zu übermitteln. Bis zum Jahr 1985 will die Post 100.000 Teilnehmer für den neuen Kopierdienst gewinnen.

1996: Die Deutsche Telekom macht die „schnurlose Kommunikation zu ihrem Schwerpunktthema '96“, weil „Flexibilität und totale Bewegungsfreiheit zu Hause und am Arbeitsplatz bereits heute erkennbare Grundbedürfnisse der Menschen in einer technischen Umwelt“ geworden sind. Deshalb ist jetzt die schnurlose Tele-Einheit T-Fax 204 DT im Handel, mit der der Kunde nicht nur telefonieren, sondern auch faxen kann. Zudem verfügt die mobile Einheit über einen digitalen Anrufbeantworter, ein alphanumerisches Telefonbuch und eine Fernabfrage.

2013: Das Konkursverfahren „Deutsche Telekom“ ist nach vierjährigen Verhandlungen nun abgeschlossen, das Unternehmen ist damit liquidiert. Gravierende Managementfehler und die veralteten Glasfasernetze hatten in den letzten zehn Jahren einen Schuldenberg von 456 Milliarden Euro verursacht. Bestehende Kundenverträge hatte der multinationale AT&T-Vebacom-Berlusconi- Kirch-Konzern übernommen.