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„Bündnis“ – chemisch gereinigt

Tarifpartner in der Chemieindustrie vereinbaren „Solidarpakt“ für sichere Jobs. Personalabbau fürs erste gestoppt. Zwei Prozent mehr Lohn für alle und Zuschüsse für Altersteilzeiter  ■ Von Barbara Dribbusch

Berlin (taz) – In der westdeutschen chemischen Industrie soll es bis zum Februar 1997 keinen weiteren Personalabbau geben. Die Beschäftigten erhalten zwei Prozent mehr Lohn. Dies steht im „Solidarpakt für Standort und Beschäftigungsförderung“, der gestern von den Tarifparteien in Rheinland-Pfalz vereinbart wurde.

Die Vereinbarung mit einer Laufzeit bis zum 28. Februar kommenden Jahres sieht im Einzelnen vor:

– Ab erstem März diesen Jahres gibt es zwei Prozent mehr Lohn und Gehalt.

– Arbeitnehmer, die vom 55. Lebensjahr an auf eine halbe Stelle in die Altersteilzeit gehen, bekommen vom Betrieb eine Lohnaufstockung, so daß sie immer noch mindestens 85 Prozent des vorherigen Nettoentgelts verdienen.

– Die Anzahl der Ausbildungsplätze soll zumindest gehalten werden. In Rheinland-Pfalz sollen in diesem Jahr über fünf Prozent zusätzliche Lehrstellen geschaffen werden. Die Arbeitgeber sagten zu, 90 Prozent der Auszubildenden zu übernehmen.

– Die bisher schon geltenden Einstiegstarife für Langzeitarbeitslose (90, beziehungsweise 95 Prozent vom Tariflohn) gelten auch künftig.

– Überstunden müssen künftig innerhalb eines Monats in Freizeit ausgeglichen werden. Für diese Mehrarbeit brauchen die Arbeitgeber keine Zuschläge mehr zu zahlen.

– Die Chemieunternehmer „geben ihrer Erwartung Ausdruck“, daß der Beschäftigungsabbau in der westdeutschen Chemieindustrie bis zum 1. Juli 1996 zum Stillstand gebracht wird. Der zu diesem Zeitpunkt erreichte Personalstand soll bis zum Ende der Laufzeit im Februar 1997 nicht unterschritten werden. Bisher schon vereinbarte Personalreduzierungen sind davon ausgenommen.

Während die Arbeitgeber lediglich vom Stopp des Personalabbaus sprachen, sollen nach Aussage der IG Chemie durch die beschäftigungsfördernden Elemente in dem Tarifvertrag 25.000 neue Jobs entstehen.

Der vereinbarte Freizeitausgleich für Überstunden dürfte sich allerdings nur verhalten auswirken. In der Chemiebranche gebe es weniger Überstunden als etwa in der Metallindustrie, erklärte Hubertus Blösinger, Rechtsreferent im Chemie-Arbeitgeberverband Rheinland-Pfalz. Der Chemie- Manteltarifvertrag erlaubt bereits eine stark schwankende saisonale Verteilung der Arbeitsstunden, ohne daß diese als „Überstunden“ gelten. Fallen kurzfristig doch „Überstunden“ an, so wurden diese in der Chemieindustrie bisher mit einem Zuschlag von 25 Prozent entlohnt. Das Geld konnten die Arbeitgeber sparen, wenn sie die Mehrarbeit innerhalb einer Woche ausglichen. Dieser Ausgleichszeitraum für zuschlagsfreie Überstunden wurde jetzt auf einen Monat erhöht und verbindlich festgeschrieben.

Die gestrige Vereinbarung gilt als Pilotvertrag für die westdeutsche Branche. Der IG-Chemie- Vorsitzende, Hubertus Schmoldt, wertete den Kompromiß als „wichtigen Baustein zu einem ,Bündnis für Arbeit‘“. Hans Paul Frey, Hauptgeschäftsführer des Bundesarbeitgeberverbandes Chemie, erklärte, die „moderate Entgelterhöhung von zwei Prozent sei die eigentliche Basis für die beschäftigungsfördernden Maßnahmen“.

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