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Fantastisch Subversiv Kultur

■ Hamburgs erstes nicht-kommerzielles Radio, das Freie Sende Kombinat (FSK), geht heute offiziell auf Sendung. Den zweiwöchigen Probelauf begleitete Volker Marquardt

Die Stimmung ist spürbar aufgeräumt in den Räumen des Freien Sende Kombinats (FSK) am Schulterblatt 23c. Manche haben sich sogar richtig fein gemacht für diesen Abend, auf den sie so lange, manche einige Jahre, gewartet haben. Die Atmosphäre erinnert an eine Abiturfeier, wo sich ja auch alle vornehmen zu feiern, die Feierlaune aber mit dem Bewußtsein schwindet, daß es ja eigentlich jetzt erst losgeht.

Im Studio selbst ist es still, nur der Moderator spricht konzentriert und mit sonorer Stimme seinen Text. In der Ecke stapeln sich drei alte Radios übereinander. Sie sind außer Betrieb und verweisen nicht ohne Hohn auf die in vielen Haushalten anzutreffende Nutzung von Radioempfängern als Möbelstücke. Und auf den Anspruch des jungen Radioprojekts, genau daran etwas zu ändern. Enzensbergers Programm vom emanzipatorischen Mediengebrauch, der Hörer zu Sendern macht, und ein Satz aus Brechts Radiotheorie stehen in der Luft: „Sollten Sie dies für utopisch halten, so bitte ich Sie, darüber nachzudenken, warum es utopisch ist.“

Es ist der 16. März, und um 18 Uhr hat sich eine kleine Radioutopie verwirklicht. FSK, das Freie Sende Kombinat, sendet zum ersten Mal auf einer eigenen Frequenz. Nicht ganz eine eigene Frequenz, sondern nur ein drei- bis fünfstündiges Fenster bei Deutschlandradio wird für sie aufgemacht. Dabei ging der Übergang vom großen Bruder nicht ohne Zähneknirschen vonstatten. Mit hörbarem Unbehagen übergab der Chefredakteur von Deutschlandradio das Mikrophon an die begeisterten Funkamateure aus der Schanze, nachdem der Sender zuvor noch zum Boykott von FSK aufgerufen hatte. Beiden Partnern ist sichtlich unwohl bei dieser Mesalliance, die in den Schreibstuben des Hamburger Senats geboren wurde. Doch nun – darauf hat man schließlich lange genug gewartet – soll der Elan vom Verhandlungstisch an die Mikrophone, Mischpulte und Plattenteller umgeleitet werden.

Und ein Großteil der Hamburger Semi-Prominenz hat sich neben der Stammbelegschaft eingefunden, um in den zwei Wochen bis zum regulären Sendestart um Mitglieder zu werben, die das nicht-kommerzielle Radioprojekt in Zukunft finanzieren werden. Der Musik-Kritiker Michael Ruff moderiert gewohnt schlecht gelaunt seine Lieblingsmusik, von Bierrock über Blues und Country bis zu Songs, die davon handeln, „mit dem Auto durch die Stadt zu schrabben“. Mitglieder der DJ-Gruppe „Future Sound Of Hamburg“ mischen betörend seltsamen Trance unter Electro, den man vergeblich in den Playlists anderer Radios sucht. Sogar die Radio-Legende John Peel hat ein Tape ins Studio geschickt, und Publizist Günther Jacob geht der Verbindung zwischen Pop und Politik nach.

Eine Verbindung, die sich am Abend des Newroz-Festes unerwartet anbahnt. Die Sugar Chicken, zwei She-Jays aus dem Pudels Club, unterbrechen ihre Moderation, weil sich vor der Tür die Lage zuspitzt. Dorthin tragen sie das Mikrophon, mitten in den Kessel, den Hamburger Polizisten um die demonstrierenden Kurden gebildet haben. Und was man da aus dem Äther hört, ist unerhört: „Die schlagen hier Frauen“, schreit eine entsetzte Kurdin. An diesem 20. März ist man auf einmal mitten drin, mitten auf dem Schulterblatt, ohne Schnitt, ohne Kommentar und andere glättende Darreichungsformen der Medienprofis. Und diesmal ist vergessen, daß das Radio bisher nur als Möbelstück genutzt wurde.

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