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Freiheit statt Einheit

■ Am 31. März 1946 fand die Abstimmung der West-SPD gegen den Zusammenschluß mit der KPD statt. Der heute 91jährige Karl Richter war gegen die Vereinigung

Für Karl Richter war die Entscheidung im Frühjahr 1946 klar. Mit den Kommunisten eine Partei bilden, das sei nach all den Erfahrungen aus der Weimarer Republik unmöglich gewesen. Die Gegner einer Verschmelzung, so erinnert sich der 91jährige heute, wurden damals diffamiert: „In den dreißiger Jahren waren wir für sie Sozialfaschisten, nach 1945 plötzlich Söldlinge des Dollarimperialismus.“

Karl Richter gehört zu jener Generation von Sozialdemokraten, deren Lebenslauf den jüngeren Funktionären in seiner Partei, die zumeist Angestellte oder Akademiker sind, wie Geschichten aus einer fremden Welt erscheinen müssen. Als 16jähriger trat er am 1.Mai 1920 der SPD bei; er engagierte sich im Deutschen Buchdruckerverband, dem Vorläufer der nach dem Krieg gegründeten Industriegewerkschaft Druck und Papier. „Wir haben damals Rabatz gemacht und am 1. Oktober 1920 die erste Lehrlingsversammlung der Buchdrucker organisiert“, erinnert er sich und freut sich dabei, als seien seitdem nicht siebzig Jahre vergangen.

1933, nachdem die Nazis an die Regierung gekommen waren und Zug um Zug jede Opposition ausschalteten, flog Richter aus seinem Betrieb. Er legte Einspruch ein – und durfte weiterarbeiten, weil sich der Betriebsrat für ihn einsetzte. Den Krieg überlebte er als Soldat in einem Baubataillon. „Dort kamen alle hin, die als unsichere Kantonisten galten: Musiker, Schauspieler oder Gewerkschafter wie ich.“ 1944 wurde er in Frankreich von den Amerikanern gefangengenommen, nach Auflösung des Lagers den Franzosen überstellt und von diesen den Russen übergeben. Im Frühjahr 1946 entließen ihn schließlich die sowjetischen Truppen. Kaum in Berlin zurück, engagierte er sich sofort wieder in der Neuköllner SPD und in der Gewerkschaft. Im Arbeiterbezirk waren nicht wenige Sozialdemokraten für die SED: „Es gab eben manche, die hatten die Illusion, innerhalb der SED mäßigend auf das kommunistische System einwirken zu können.“

Heftig waren die Auseinandersetzungen. Manche Freundschaften zerbrachen. Das sei damals „ein schmerzhafter Prozeß“ gewesen, so Richter: „Viele von uns kannten sich ja aus der Weimarer Zeit, hatten miteinander gearbeitet und gekämpft.“ Jetzt aber galt es, „jeden Tag Farbe zu bekennen, für oder gegen die Zwangsvereinigung“. Die Hoffnungen, die manche in die SED setzten, habe er schon damals nicht gehegt: „Wir waren nicht gewillt, erneut einen Weg mitzugehen, der in Unterdrückung, Willkür und Zwang endet.“ Die „eigentliche Arbeit“ begann für Richter erst nach der Urabstimmung am 31. März. Mit anderen Sozialdemokraten gehörte er zur Opposition im „Freien Deutschen Gewerkschaftsbund“ (FDGB), der im Februar 1946 gegründet worden war, aber schon bald von der KPD und nach dem Vereinigungsparteitag im April dann von der SED zunehmend dominiert wurde. Richter fuhr in die Ostsektoren, warb in den Betrieben für freie Gewerkschaften. Als im Mai 1948 der FDGB versuchte, mißliebige Mitglieder zu entfernen, gehörte Richter zu jenen, die sich als „Unabhängige Gewerkschaftsopposition“ (UGO) abspalteten. 1950 erklärte sich die UGO dann zum „Landesbezirk Berlin“ des kurz zuvor in den Westzonen gegründeten Deutschen Gewerkschaftsbundes. Richter, der 21 Jahre lang bis zu seiner Pensionierung 1969 der IG Druck und Papier vorstand, kann heute gelassen auf das Frühjahr 1946 zurückblicken. Die Geschichte hat ihm recht gegeben. Ob ein Mann wie Otto Grotewohl, der die Ost-SPD in die SED führte und später Ministerpräsident der DDR wurde, für ihn Verräter gewesen sei? Nein, sagt er, das sei der falsche Begriff: „Grotewohl und die anderen haben halt einen anderen Weg gewählt. Aber einen, der eben nicht in die Freiheit führte.“ Severin Weiland

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