■ Das Land Berlin-Brandenburg ist nicht mehr zu retten: Gestorben an Ressentiments
Fünf Wochen sind es noch bis zur Volksabstimmung über die Fusion von Berlin und Brandenburg. Gestern bliesen Befürworter wie Gegner zum Kampagnen-Endspurt. Aber ist das gemeinsame Bundesland überhaupt noch zu retten?
Hilf- und ratlos wiederholen die Fusionsbefürworter ihre sattsam bekannten Argumente. Ein neues buntes Plakat, ein frischer frecher Slogan reichen allerdings nicht, um den Stimmungsumschwung herbeizuführen. Das Versprechen, alles werde in einem gemeinsamen Bundesland besser, nehmen vor allem die Brandenburger ihren Politikern nicht mehr ab. Die PDS hingegen, die alles Schlechte in den Fusionsvertrag hineininterpretiert, trifft die Stimmung der Bevölkerung rund um Berlin weit über die eigene Anhängerschaft hinaus. Der Pessimismus nimmt zu, Ost- West-Gegensätze gewinnen wieder an Bedeutung. In Brandenburg haben, wenn man den Umfragen glauben darf, die Gegner eines Zusammenschlusses mit der Hauptstadt deutlich die Oberhand gewonnen.
Längst richten sich in den Ministerien und Parteien viele Mitarbeiter darauf ein, daß die Volksabstimmung scheitert. Gegenseitige Schuldzuweisungen werden vorbereitet. In Brandenburg etwa schoben sich Staatskanzlei und SPD-Fraktion schon die Verantwortung für die laue und von Pleiten begleitete Pro-Fusions-Kampagne in die Schuhe. Die Berliner CDU lobt sich dafür, als einzige Partei in Berlin und Brandenburg geschlossen hinter dem Fusionsstaatsvertrag zu stehen. Sie tut jedoch alles, um sich bei ihren antikommunistisch geprägten Westberliner Anhängern auf Kosten Brandenburgs zu profilieren. Mit „eisernem Besen“ werde man nach der Fusion so manche „sozialistische Wärmestube“ in Brandenburg ausfegen, hatte Berlins CDU-Fraktionschef Klaus- Rüdiger Landowsky kürzlich angekündigt. Die PDS dankt es ihm. Schon gehört Landowskys Besen samt Redetext als Abschreckungsargument zum Marschgepäck ihrer Kampagne.
Jetzt muß auch noch der Glaubenskrieg um das in der letzten Woche für Brandenburgs Schulen eingeführte Pflichtfach „Lebensgestaltung – Ethik – Religion“ (LER) herhalten, um zwischen Berlin und Brandenburg neue Ressentiments zu schüren. Angesichts der Gottlosigkeit des Potsdamer Landtages sieht Berlins Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen in Brandenburg bereits die DDR wiederauferstehen. So etwas werde es in einem gemeinsamen Bundesland nicht geben, kündigte er an. Wer den Ostdeutschen so wenig Verständnis entgegenbringt, braucht sich nicht zu wundern, daß mit ihm niemand fusionieren will. Christoph Seils
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