: Hintertür für Krankenkassen steht offen
■ Drogenhilfe-Einrichtungen schlagen Alarm gegen neuen Methadon-Vertrag Von Patricia Faller
„Wärst du im letzten Jahr gekommen, dann wärst du sicher im Methadon-Programm gewesen.“ Wenig Hoffnung konnte Dietmar Guse, Teamchef der Therapieeinrichtung „Medikamentengestützte Ambulante Therapie-West“ (MAT) einem substitutionswilligen Junkie in der vergangenen Woche machen. Und das obwohl dieser zwei Jahre in der Fixer-Szene am Hauptbahnhof gelebt hatte, als Drogennotfall ins Krankenhaus und nach einem Suzidversuch ins Allgemeine Krankenhaus Ochsenzoll eingeliefert werden mußte. Nach der am Montag verabschiedeten Methadon-Regelung (taz berichtete) ist nun völlig offen, ob er krank genug ist, um nach den restriktiven bundesweit geltenden NUB-Richtlinien substituiert zu werden.
Für Hamburger Junkies wird es künftig nicht mehr möglich sein, durch Methadon von der Nadel wegzukommen. Deshalb schlugen die Hamburgische Landesstelle gegen die Suchtgefahren, Substitutionseinrichtungen und Betroffene gestern Alarm. Für sie ist der Vertrag ein Rückschritt, gar eine Bankrotterklärung der Hamburger Drogenpolitik.
Die Niedrigschwelligkeit sei nicht mehr gegeben. Welcher Junkie soll das bürokratische Procedere bis zur Anerkennung aushalten? Bisherige Praxis sei gewesen, daß die Interessierten gleich substituiert wurden und derart stabilisiert einen Antrag stellen konnten, so der Geschäftsführer der Beratungseinrichtung „Palette“, Rainer Schmidt.
Wenn das erfolgreiche Modell schon in Hamburg nicht verlängert wurde, wo es einen breiten Konsens über die akzeptierende Drogenarbeit gibt, wie soll es da bundesweit mit Ländern wie Bayern oder Baden-Württemberg zu Verbesserungen der NUB-Richtlinien kommen, zerstreut Guse die Hoffnungen auf baldige bundesweite Verbesserungen, resultierend aus den Hamburger Erfahrungen.
Die weitere Substitution der 2500 sogenannten „Altfälle“, die bisher immer als besonderes Bobon verkauft wurde, hält der Chef der Beratungseinrichtung „La Strada“, Hartmut Janßen, für Augenwischerei. Denn der Vertrag enthalte eine Passage, die dahingehend interpretiert werden müsse, daß dies keineswegs sicher sei. Danach sollen alle „Behandlungsfälle“ bis Ende des Jahres überprüft werden, und die Krankenkassen können in „begründeten Einzelfällen“ entscheiden, ob die Behandlung beendet werden soll. Für Rainer Schmidt ist das ein Hintertürchen für die Krankenkassen, die das liberale Vertragsmodell ohnehin aus Kostengründen blockierten.
In den „Palette“-Beratungsstellen werden derzeit 450 Substituierte psychosozial betreut. Nur 90 würden unter die NUB-Richtlinien fallen. Ähnlich sieht es in anderen Einrichtungen aus. Schmidt fordert deshalb zusammen mit den anderen Einrichtungen und der Landesstelle gegen die Suchtgefahren, daß die Stadt für die Junkies aufkommt, die jetzt durch die wegfallende soziale Indikation keine Chance mehr auf Substitution hätten. Falls der Senat diese Verantwortung nicht übernehme, sieht Pastor Kai Kraag aus St. Georg den sozialen Frieden in seinem Stadtteil gefährdet: „Der Beschaffungsdruck und die Aggressivität wird sich verstärken, und die Kriminalität wieder zunehmen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen