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Einschüchterung aus Prinzip

■ Vor den Castor-Aktionen am Sonnabend: Polizei durchsucht „Buchladen im Schanzenviertel“ und findet zwei Anti-Atom-Broschüren Von Ulrike Winkelmann

„Anregungen für AnfängerInnen und Fortgeschrittene“ im Schienen- und Schwellen-Unterhöhlen sowie -Durchsägen gibt's in der neuen Gorleben-Broschüre „55 Millionen plus X – wir stellen uns weiter quer“. Und auch das Anfertigen von Wurfankern und der Umgang mit Chloratbomben wird in dem Heft, das die „Republik Freies Wendland“ herausgegeben hat, in plauschig-beratendem Tonfall erläutert.

Der Hamburger Staatsanwaltschaft scheint das – pünktlich vor den am Ostersonnabend im Wendland beginnenden Aktionen gegen die „Castor“-Atomtransporte ins Zwischenlager Gorleben – unangenehm aufgefallen zu sein. Gestern morgen zu Geschäftsbeginn um 9.35 Uhr fuhren fünf Kriminalbeamte in Begleitung eines Polizei-Zuges beim „Buchladen im Schanzenviertel“ am Schulterblatt vor, in der Tasche einen Durchsuchungsbeschluß des Hamburger Amtsgerichts. Mehr als eine Stunde lang durchkämmten sie die Geschäftsräume nach der Broschüre und nach Hinweisen über die Vertriebswege.

Während sich draußen PassantInnen sammelten und die wachestehenden PolizistInnen fröhlich den Eingang versperrten, machte die Kripo reiche Beute: Zwei Exemplare besagter Gorleben-Broschüre, eine alte Ausgabe der kriminalisierten Untergrundzeitschrift „radikal“, ein vollständiges April-Exemplar des Rote-Flora-Hausblatts „Zeck“ sowie 59 Mittelteile der „Zeck“ mit Auszügen aus der Gorleben-Broschüre wurden beschlagnahmt. Der Grund: Verdacht auf Anleitung zu Straftaten, untersagt von den Paragraphen 126 und 130a Strafgesetzbuch. Gegen die GmbH des Buchladens wird nun ein Verfahren als VertreiberInnen der inkriminierten Drucksachen eingeleitet.

Zu befürchten hat das Buchladen-Kollektiv jedoch nicht viel: „Die Dinger werden eingezogen, und damit hat sich das“, meint der Rechtsanwalt der Laden-Crew, Dieter Magsam. Ob sie über den strafbaren Inhalt des Hefts informiert gewesen sei, lasse sich nicht feststellen. Deswegen werde es wohl weder zu einer Klage noch zu einer Verurteilung kommen. Um die Gorleben-Broschüren oder die „radikal“ geht es nach Magsams Meinung auch gar nicht, sondern ums Prinzip der Einschüchterung: „Linke Buchläden sollen immer damit rechnen müssen, daß die Jungs auf der Matte stehen“.

Warum sich die Staaatsanwaltschaft gerade den Buchladen am Schulterblatt ausgesucht hat, obwohl das Anti-Atom-Heft bereits seit zwei Wochen in diversen Buchhandlungen und an vielen weiteren Orten nicht nur in Hamburg ausliegt, weiß Magsam auch nicht: „Vielleicht haben die einen Testkäufer hierher geschickt“, spekuliert er.

„Man wußte durch Aufklärung vor Ort, daß dort die Hefte zu haben sind“, umschreibt Rüdiger Bagger, Sprecher der Staatsanwaltschaft, wie man auf den Buchladen im Schanzenviertel gekommen sei. Polizeipressesprecher Hartmut Kapp ergänzt: „Das war eine Einzelaktion.“ Im freien Verkauf wird die Broschüre dennoch kaum noch zu erwerben sein.

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