Ostern ohne Osterhasen

■ Viele Menschen sind des Hasen Tod: Autos, Hunde, nitrathaltiges Futter haben die Berliner Hasen so dezimiert, daß Naturschützer sie fast alle persönlich kennen

Der Berliner Osterhase ist vom Aussterben bedroht. „Die paar Hasen im Grunewald kenne ich fast alle persönlich“, sagt Hans Lippert vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND). Trotz Jagdverbotes in den Berliner Wäldern steigt die Gesamtzahl der Viecher einfach nicht mehr an. Sie erleben zu viel Streß, glaubt der Naturschützer: zu viele Menschenautos und Menschenhunde und menschlich verursachte Umweltschäden.

Das ist nicht nur in Berlin so: Bundesweit nimmt die Population des europäischen Feldhasen (Lepus europaeus) seit 15 Jahren ab. Wild und Hund vermeldet zwar frohgemut, der Bestand läge über zwei Millionen, aber als Zentralorgan der schießwütigen Jäger ist das Blatt nicht sehr glaubwürdig. Naturschützer schätzen die Zahl auf weniger als eine Million. Auf jeden Fall gilt der Hase seit anderthalb Jahren offiziell als gefährdete Art und wurde als solche in die „Rote Liste“ aufgenommen.

Das seltene Tier ist auch ein seltsames. Häsinnen haben die Fähigkeit, zwei Generationen Nachwuchs gleichzeitig auszutragen: Sobald die Embryonen der ersten Generation in ihrem Bauch 36 Tage alt sind, kann daneben eine neue, zweite Generation Platz finden. Nicht wenige Hasenfrauen gebären im Frühling auf diese Weise zweimal hintereinander. Zweite Besonderheit: Wie die wiederkäuenden Kühe verwerten Hasen ihre Nahrung doppelt: Sie fressen ihre eigene Kacke. In ihrem riesigen Blinddarm werden Klee, Löwenzahn, wilde Möhren und Rispengras zu einem weichen Brei aufbereitet, der, ausgeschieden und nochmal gefressen, vitamin- und proteinreicher ist als die Ursprungsnahrung. Erst mit dem zweiten Durchgang entstehen die berühmten harten Hasenköttel, die die Tiere auch als Reviermarker einsetzen.

Warum aber ist nun ausgerechnet eine doppelohrige Tierart mit der Fähigkeit zur Doppelschwangerschaft und Doppelfutterverwertung bedroht? Gerade wegen letzterem, sagen einige Experten: Ihr auf magere Kräutlein spezialisiertes Verdauungssystem vertrage keine gedüngten Pflanzen, keine nitrathaltige Nahrung. Weil seit Jahr und Tag der Eintrag von Stickstoff in den Boden steigt, müßten die Hasen bei vollem Magen verhungern.

Andere hingegen vermuten, die Hasen seien vor allem durch das pubertäre Hobby der Jäger dezimiert worden. Dem steht jedoch die Beobachtung entgegen, daß sie sich in Berlin und anderswo auch nach einem Jagdverbot nicht mehr vermehren mochten. Wieder andere glauben, vor allem die Fuchspopulation, die nach der Tollwutimmunisierung wieder steil anstieg, halte die Hasen kurz. Vierte vermuten indes, Hauptursache sei das Aussterben vieler Futterkräuter, bedingt durch die Flurbereinigungen und den großflächigen Herbizideinsatz. Die Ursachen sind jedenfalls allemal menschengemacht, und viele Menschen sind des Hasen Tod. Bald würden Kinder die Tiere nur noch „aus dem Zoo oder als süße Leckerei aus Schokolade“ kennen, trauert Hasenliebhaber Lippelt vom BUND.

Und was wird dann aus Ostern? Hartnäckig hielt sich in bestimmten Gegenden Brandenburgs bis in die 30er Jahre hinein der Glaube: Der Fuchs bringt die Ostereier. Ist doch passend. Ute Scheub