■ Ökolumne: Das ABM-Zeitalter Von Helmut Höge
Bis zur Wende von 1989 diente der ehemalige belgische Kolonialtruppen-Transporter „Charlesville“ der Deutschen Seereederei der DDR als Ausbildungsschiff. Danach übernahm das Rostocker Arbeitsamt die Brücke des inzwischen „Georg Büchner“ genannten Überseefrachters. In Luke 1 des ABM-Schiffes befindet sich jetzt eine Tischlereiwerkstatt, und in den Konferenzräumen der ehemaligen Luke 5 werden arbeitslose Reedereidispatcher und Seeleute zu Tourismusmanagern umgeschult.
Abgewickelt wurde auch die Filmfabrik Orwo in Wolfen, wo von den einst 15.500 Beschäftigten nur noch hundert Filme von Kodak und Agfa verpacken. Geblieben ist jedoch das Original-Orwo-Kinder- und Jugendballett — auf ABM-Basis. Im vorpommerschen Trebeltal durfte eine Gruppe arbeitsloser Traktoristen ihr Hobby zum ABM-Beruf machen — mit einem „Projekt Indianistik“. Vorgestellt haben sie sich schon mit dem Faltblatt „Indianer im Trebeltal“. Und im prignitznahen Straßendorf Passee mutierte dagegen die Rinderzuchtanlage mittels ABM zu einem 12-Hektar-„Rassetierpark“: Diese Strukturinnovation war einem kreativen Makler aus Bad Segeberg geschuldet, der mit einem Grundstücksschnäppchen, Rechtslücken und brachialer Gewalt den gesamten Ortskern — Bürgermeisteramt, Post, Arztpraxis, Kläranlage und Lebensmittelgeschäft — sowie die florierende LPG in seinen Besitz gebracht hatte: Solange wie die daraus resultierenden 113 Gerichtsprozesse noch brauchen, wird man sich in Passee mit ABM über Wasser halten.
Auch wenn einige Pessimisten meinen, das seien alles bloß die letzten Zuckungen von New Deal und Reichsarbeitsdienst: Das Zeitalter der ABM hat gerade erst begonnen! Vor meinem geistigen Auge sehe ich bereits die ganzen kleinen ebenso fixen wie flexiblen Firmenstruktureinheiten sich mittels Hightech vernetzen und kundenorientiert verkoppeln, derweil all die Outgesourcten drumherum ihnen „auf ABM- Basis“ den Dreck wegräumen.
Während der großen irischen Hungersnot Mitte des letzten Jahrhunderts wurden die ABM mit einem großzügigen englischen Kolonialkredit ermöglicht: Damit baute man Straßen, die nirgendwohin führten, Pyramiden zu Ehren von in Indien gefallenen britischen Offizieren, endlose Mauern, die mitten durch die Landschaft führten. Man nannte das „Public Follies“. In Indien gibt es ABM regelmäßig in Dürreperioden, und dort heißt es „Food for Work“. Diese Programme werden gern von Linken duchgeführt, die dann den Teilnehmern ihrer marxistischen Schulungskurse eine Bezahlung anbieten können: als eine Art umgedrehtes Volkshochschulprinzip.
ABM gibt es in den verschiedendsten Formen rund um die Welt, außer vielleicht im rückständigen Malaysia, wo immer noch ein starker Arbeitskräftemangel herrscht.
Ein entsprechendes Überangebot dagegen wird schon seit eh und je „abgesauckelt“, wie man 1940 sagte. Die ersten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, das waren die Schanzendienste, mit denen das bloß noch rumhängende Jungvolk beschäftigt wurde, ohne daß es Gründe gab, einen baldigen Angriff befürchten zu müssen. Im Grunde ist jede Militärmaßnahme eine ABM, in der Outgesourcte umgeschult werden: um in naher oder ferner Umwelt die Mitbewerber vom Markt zu fegen.
„ABM ist Mord“, kann Tucholsky-Preisträger Wiglaf Droste deswegen auch zu Recht an seinem Tournee-Turnpoint Bielefeld vermelden. Das heißt aber nicht, daß wir damit den kommenden Hyper-Keynesianismus („Jeder für 15 Monate in ABM“) schon intellektuell im Griff hätten, das bedeutet nur, daß die erkämpfte Umschulung zum E-Schweißer etwa noch genauso l'art pour l'art ist wie zum Beispiel der Bau einer Schule im umkämpften Somalia: Es kömmt drauf an, wie die Lohneingruppierung erfolgt! Deswegen sollten wir auch nicht gleich wie wild pazifistisch um uns schlagen, wenn es demnächst auf dem ABM-Schiff in Rostock zum Beispiel wieder heißt: „Müller, Leinen los — es geht in den Kongo!“
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