: Unser Dorf soll jung sein und leben
Dem Ökodorf in der Kurfürstenstraße mangelt es an Nachwuchs. Mit einem neuen Namen soll der alte Charme nun abgeschüttelt und die Suche nach neuen Nutzern begonnen werden ■ Von Torsten Teichmann
Im grünen Café der riesigen Fabriketage steht eine mit braunem Packpapier bespannte Litfaßsäule. Daran klebt noch ein Aufruf aus dem vergangenen Jahr. Das kleine Plakat mit der Frage „Giftgrüne Woche 96?“ sollte Jugendliche für ehrenamtliche Mitarbeit zur Vorbereitung für die Veranstaltung werben. Besucher des Ökodorfs in der Kurfürstenstraße 14 haben zwar ihre Adressen mit bunten Filzstiften auf der Säule hinterlassen. „Aber gemeldet hat sich später keiner von ihnen, auch nicht auf Anfrage“, klagt Vereinsmitglied Robert Kessler.
Die „Giftgrüne Woche“ im Ökodorf, die alljährlich vielbesuchte Gegenausstellung zur Grünen Woche am Charlottenburger Messegelände, fiel in diesem Jahr zum ersten Mal nach 14 Jahren aus. Das Ökodorf hat die Midlife-crisis erwischt.
Dem Verein fehlen junge Initiativen, Mitglieder und ehrenamtliche Mitarbeiter. Der Altersdurchschnitt liegt mittlerweile bei über 30 Jahren. Die Vereinsgründer und Aktiven arbeiten zumeist seit Ende der siebziger oder Anfang der achtziger Jahre im Ökodorf. Sie haben heute keine Lust mehr, an der Basis zu wühlen und mit einer neuen Initiative nochmal bei Null anfangen zu müssen.
„Das ist was für die Jungen“, erklärt der 41jährige Hans Wenk, der hauptberuflich als Buchhalter beim Stadtteilverein Tiergarten arbeitet. Im Dorf engagiert er sich in einem Büro für Studentenaustausch.
In der Vergangenheit hat sich der Umweltverein Ökodorf aus Mitgliedsbeiträgen, Spenden, Mieteinnahmen und Geldern für Projekte finanziert. Doch ohne neue Gruppen, Initiativen und Inhalte fehlen auch die Einnahmen. Das dadurch entstandene Loch von monatlich 2.000 Mark bezahlt das Ökodorf aus Rücklagen. „Ändert sich die Situation in den nächsten Monaten nicht, müssen wir aufgeben“, prophezeit Hans Wenk.
Doch so richtig möchte keiner daran glauben. „Es wäre Quatsch, jetzt alles hinzuschmeißen, bei der Ausstattung“, sagt der Buchhalter und kratzt sich dabei an den schon grauen Haarspitzen. Der Verein hat auf 460 Quadratmetern Fläche Büros, Faxgeräte, Telefone, Film- und Videogroßprojektoren und natürlich viel Ausstellungsraum.
Angefangen haben die Ökodörfler bei Null. „Da gab es weder Öko-Archive noch zig Zeitschriften zum Umweltschutz wie heute“, erinnert sich Hans Wenk. Nach einem sechs Wochen dauernden Umweltfestival im Sommer 1978 versprach die SPD-regierte Stadt den alternativen Umweltschützern ein Ökodorf in Berlin. So entstand der Name. Da noch kein Bauernhofgelände für den Umweltverein gefunden war, zogen die Dörfler erst einmal in eine Fabriketage, die dritte Etage des ehemaligen Hinterhauses an der Kurfürstenstraße, die damals der Ufa-Fabrik gehörte. Dort sind sie nie wieder herausgekommen.
Bürgerinitiativen, Seminare und einzelne Umweltschützer rannten ihnen die Bude ein. Die „Giftgrüne Woche“, mit Themen wie Landwirtschaft, Textilien oder Europapolitik, wurde zum größten Erfolg. Sogar der Veranstaltungskalender der „Grünen Woche“ konnte 1991 nicht mehr darauf verzichten, ganzseitig auf die Gegenveranstaltung hinzuweisen.
Da blieben schon mal 7.000 Mark Spendengelder zurück. Heute komme man noch auf 800 Mark, erklärt Robert Kessler. Aber auch Gegenveranstaltungen zur Internationalen Tourismus- Börse und die Anti-Atomkraftbewegung hatten ihren Platz in der alternativen Fabrik. Heute nutzen nur noch sechs Initiativen die großzügigen Räume.
Geldgeber wie die Stiftung Naturschutz würden den Verlust der Etage bedauern. „Sie haben die Bürger für Ökologie motiviert“, erklärt der Stiftungs-Geschäftsführer Klaus-Dieter Heise. Warum die Jugendlichen nicht mehr im Ökodorf mitarbeiten, kann auch er nicht sagen.
„Vielleicht sind die Leute heute einfach gesättigt mit solchen Themen“, vermutet Kerstin Mally. Und die Politiker vermitteln ihnen zumindest das Gefühl, sie hätten alles im Griff, ergänzt Hans Wenk. Dabei schwingt ein wenig Resignation in seiner Stimme mit. Dazu komme, daß andere Gruppen wie Greenpeace oder der BUND professioneller in der Öffentlichkeit arbeiten könnten.
Mit einem neuen Namen versucht sich der Verein nun ein neues Image zu geben. Denn „auch an uns sind die Veränderungen nicht spurlos vorüber gegangen“, heißt es in einem Rundbrief an Initiativen und Gruppen, denen die Umweltdörfler ihre Räume anbieten. Mit dem Namen „KAA 14 – Kommunikation Aktion Autonom 14“ soll die Profilsuche fürs nächste Jahrtausend abgeschlossen sein. Alle Aktiven aus dem linken politischen und ökologischen Spektrum sind willkommen.
Großes Vorbild für den Verein ist die Anti-Atomkraftbewegung. Nach einer Hochzeit Anfang der achtziger Jahre zog dort zwar Ruhe ein in den Kampf gegen Atomwaffen und Kernenergie. Doch das hatte den Vorteil, daß der Nachwuchs eine Chance bekam. Im Anti-Atomplenum, das seit vergangenem August in der Kurfürstenstraße tagt, arbeiten Schüler und Studenten neben altgedienten AKW-Gegnern. „Doch das hängt sicher auch mit den Castor-Transporten, den französischen Atomtests und dem zehnten Jahrestag der Katastrophe von Tschernobyl zusammmen“, vermutet Steve vom Plenum.
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