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Schluß mit Mandarinentorte

Selbst Neunjährige erkannten beim Mönchengladbacher 3:1-Erfolg über die Münchner Bayern, daß eine Viererkette cool ist  ■ Von Birgits Geburtstag Holger Jenrich

Eigentlich ist mir die Sache ganz schön peinlich. Seit Jahren hocke ich nun wochenends am Bökelberg, wenn die Gladbacher Borussia der Liga-Konkurrenz an die Wäsche will, schwenke meine imaginäre Fahne und erlaube mir weniger Fehlstunden als einst im Matheunterricht. Und ausgerechnet wenn's gegen die Bayern geht, den Erzfeind aus den legendären Siebzigern, dem in der niederrheinischen Unbeliebtheitsskala nicht mal die „herrlichen“ Schwarz-Gelben nahekommen, ausgerechnet dann kann ich nicht. Oder darf ich nicht. Oder soll ich nicht. Jedenfalls: Birgit hat Geburtstag, einen runden zudem, und ich sitze mit Onkels und Tanten und Mamas in Hannover statt mit Ulli und Jürgen und Martin auf der Tribüne. Mein einziger, wenn auch schwacher Trost: Um 20 Uhr ist für mich definitiv Schluß mit Mandarinentorte und Nougatpralinees. Um 20 Uhr guck' ich mir das Spiel im Fernsehen an – auch wenn Birgit so ein furchtbares Theater veranstalten sollte wie Katrin vor zehn Jahren, als ich ihrem Gefeiere das WM- Endspiel (Burruchaga!) vorgezogen habe. Warum müssen Frauen eigentlich immer dann Geburtstag haben, wenn solch existentiell wichtige Spiele passieren?

Pascal beschäftigen andere Fragen. „In welche Richtung muß Gladbach?“ quillt es aus ihm hervor, als Dahlin nach Schiri Heynemanns pfiffiger Eröffnung den Ball unter Beckmanns beifälligem „Los geht's!“ zu den eigenen Jungs zurückschickt. Pascal ist neun, Birgits Sohn und so was wie ein fußballerischer Volltrottel. Lego und das Sams, die Sesamstraße und Willi Wackelzahn sind seine Welt. Fußball guckt er nur, weil ich Fußball gucke und er damit das Ins-Bett- Gehen noch etwas hinauszögern kann. Und Gladbach findet er gut und Bayern doof, weil ich ihm das in meiner quasi väterlichen Fürsorge schon früh so beigebracht habe.

Er quasselt mich, nachdem ich mit einem knappen „links“ seine Unklarheit beseitigt und mir im Tonfall die dem Anlaß entsprechende andächtige Ruhe erbeten habe, anschließend unentwegt zu. Sforza kann noch so gefährlich flanken, Wynhoff noch so filigran dribbeln – Pascal ignoriert meine Nöte und meinen erhöhten Pulsschlag und erzählt in aller Seelenruhe von seinem Geburtstag im Juni, den er im Schwimmbad feiern will, von der bevorstehenden Kinderfreizeit und den 20 Mark, die Angela ihm zu Ostern mitgebracht hat. Erst als ich seinen Sprachfluß jäh störe und Petterssons 1:0 beklatsche, wendet er sich wieder fußballerischen Dingen zu. „Tor? Für wen denn?“ Ja, hat die Kröte denn keine Augen im Kopf? „Wer sind die Weißen denn, he?“ Und würde ich bei einer Bayern-Führung so herumgrölen? Immerhin beäugt er auf meinen Rat hin die anschließende Zeitlupe und kommentiert fachmännisch: „Im Fallen – super!“

Daß meine Mannschaft und damit auch seine Mannschaft vorn liegt, legt bei Pascal bisher schlummernde Potentiale frei. Er beginnt als „Yellow Submarine“-Fanatiker das Lied von den Lederhosen zu summen und betätigt sich auch sonst bevorzugt als Bayern-Beleidiger. Babbel sei ja ein blöder Name und Witeczek klinge wie Euroscheck, und Ziege, wie könne man nur Ziege heißen. So sehr mir behagt, daß er dem Ereignis auf dem Fernsehschirm nun den gebotenen Respekt zollt – ich muß ihn leider in die Schranken weisen, weil auch bei Gladbach einer mitspielt, der Wolf heißt, und Klinsmann zum 1:1 einkanoniert hat.

Ich mache es, um niemanden zu langweilen, kurz: Es geht so weiter bis zum glücklichen Ende. Mal glänzt Pascal mit profundem Nichtwissen, mal überrascht er mich, wenn er lässig einfließen läßt, eine Viererkette sei doch absolut cool. Meist aber erzählt er von Laura und Ole, überschüttet mich mit Erlebnissen aus einer Woche Bus- und Bahnfahren und singt, wenn ihm trotz Klassekick vor der Glotze zu langweilig wird, in gebremster Stimmlage das Lied von Paule, dem Baggerseepiraten. Ich ertrage das Ganze heldenhaft, weil er im Grunde ja ein klasse Kerlchen ist und Borussia das Prestigeduell durch Wynhoffs Schlußminutenkonter glatt mit 3:1 gewinnt. Aber trotz aller finalen Glückseligkeit ist eines so klar wie Kloßbrühe: Beim nächsten Geburtstag – feiere, wer da will – bin ich im Stadion. Ein Stückchen Mandarinentorte kann man mir ja übriglassen...

FC Bayern München: Kahn - Helmer - Kreuzer, Babbel - Sforza, Scholl, Nerlinger, Ziege, Witeczek (73. Herzog) - Papin (79. Kostadinow), Klinsmann

Zuschauer: 34.500 (ausverkauft)

Tore: 1:0 Pettersson (21.), 1:1 Klinsmann (34.), 2:1 Pettersson (43.), 3:1 Wynhoff (89.)

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