: Hektarweise Spinatkartoffeln
■ In Golm bei Potsdam startet Anfang Mai unter Beteiligung von Berliner Forschern der bundesweit größte Freilandversuch mit genetisch veränderten Organismen. Widerstand gegen die Aussaat formiert sich
Anfang Mai soll auch in Brandenburg die Genzukunft der Landwirtschaft anbrechen. In der ersten Freisetzung gentechnisch manipulierter Pflanzen im Land Brandenburg will die Arbeitsgruppe Willmitzer am neu gegründeten Max- Planck-Institut für molekulare Pflanzenphysiologie in Golm bei Potsdam jährlich bis zu 47.000 transgene Kartoffeln pflanzen. Mit einer Versuchsfläche von 12 Hektar handelt es sich dabei um das mit Abstand größte Experiment in der Geschichte deutscher Freisetzungen.
In der Region regt sich zunehmend Widerstand gegen das Auspflanzen der Genkartoffeln, denen Lothar Willmitzer und seine KollegInnen Gene aus Spinat, Hefen und Bakterien eingebaut haben. Ziel dieser genetischen Manipulationen ist die Steigerung des Knollenertrages und die Änderung der biochemischen Zusammensetzung der Kartoffelstärke, denn die Kartoffeln sollen als nachwachsender Rohstoff für die Stärkeindustrie dienen. Die industrielle Gewinnung und Weiterverarbeitung von Kartoffelstärke für die Verwendung in Nahrungsmitteln, Papier und Textilien verbraucht große Mengen an Energie und führt zu einem hohen Abwasseraufkommen. Lothar Willmitzer meint, Umweltschützer und Freisetzungsgegner sollten die ersten sein, die seine Arbeit begrüßen. Sie führe zu Energieeinsparungen und einem verringerten Abwasseraufkommen.
Viele Menschen mißtrauen jedoch solchen bisher unbewiesenen Umweltversprechen. Die im „Aktionsbündnis für gentechnikfreie Landwirtschaft“ zusammengeschlossenen GegnerInnen bezweifeln, daß die Experimente im Interesse der BürgerInnen sind. Henning Strodthoff vom Genethischen Netzwerk betont, daß die gentechnisch veränderten Stärkekartoffeln den VerbraucherInnen keinerlei Vorteile, sondern potentiell gravierende Nachteile in Form neuer Nahrungsmittelallergien brächten. „Die Vorteile der Genkartoffeln treten nur auf Seiten der Stärkeindustrie und des industriellen Anbaus der Kartoffeln auf.“
Für die Gentechnikgegner ist Lothar Willmitzer kein Unbekannter. Bereits 1993 führte seine Arbeitsgruppe, damals noch beheimatet am Institut für Genbiologische Forschung Berlin, die bundesweit zweiten Freilandversuche mit transgenen Pflanzen durch. Auch damals handelte es sich um Industriekartoffeln für die Gewinnung von Stärke. Die europäische Stärkeindustrie ist auch deshalb an den Kartoffeln interessiert, weil es hohe Subventionen gibt. Im laufenden Jahr will die Europäische Union den Anbau von Stärkekartoffeln mit fast 400 Millionen Mark aus dem Staatssäckel fördern. Matthias Schneider von den Brandenburger Bündnisgrünen fordert, Brandenburger Landwirten einen angemessenen Preis für ihre genetisch nicht manipulierten Kartoffeln zu garantieren, statt mit Hilfe von Steuergeldern den Anbau von in Zukunft genmanipulierten Industriekartoffeln künstlich auszuweiten. Christoph Corves
Zur Diskussion der Freisetzungsexperimente lädt das Aktionsbündnis morgen um 19.00 Uhr in die Gaststätte Golm ein. Am 14. April um 15.00 Uhr treffen sich Interessierte vor der Gemeindevertretung Golm für einen Besuch der Freisetzungsflächen.
Kontakt: Bündnis 90/ Die Grünen, Tel. 0331-280 06 86).
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