: Legal und trotzdem unschuldig im Knast
■ Ein 45jähriger muß für eine in der BRD nicht strafbare Tat acht Jahre absitzen
Hannover (taz) – Gut siebeneinhalb Jahre Haft im Knast Salinenmoor hat Karl-Heinz Bersuch noch vor sich – so jedenfalls hat es die Strafvollstreckungskammer am Landgericht Hannover entschieden. Seinen weiteren Aufenthalt verdankt der 45jährige allerdings einer Tat, die in Deutschland nicht strafbar ist: Karl-Heinz Bersuch ist aus einem Gefängnis getürmt – darauf steht keine Strafe. Das Gefängnis war allerdings ein US-amerikanisches, und vom Landgericht Phoenix in Arizona wurde Bersuch wegen der Flucht zu einer Strafe von insgesamt acht Jahren verurteilt. Neben einer anderen Reststrafe, die Karl-Heinz Bersuch inzwischen abgessen hat, wurden 1994 auch die acht Jahre vom damals noch zuständigen Landgericht Stade für in der Bundesrepublik vollstreckbar erklärt – sozusagen irtümlich: Das internationale Rechtshilfegesetz sagt in Paragraph 49, daß Urteile ausländischer Gerichte nur dann in der Bundesrepublik vollstreckt werden dürfen, wenn die Tat auch hier strafbar ist.
Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hannover hielt den Beschluß für ungerecht und wollte eine „materielle Ungerechtigkeit“ keineswegs ausschließen. Für die Aufhebung dieses Beschlusses, der die acht Jahre Haft festschreibt, erklärten sich aber das Landgericht und auch das Oberlandesgericht Celle unzuständig. Nur über ein Wiederaufnahmeverfahren, so argumentierte die Strafvollstreckungskammer, könne die achtjährige Haftstrafe aus der Welt geschafft werden. Aber leider sei die Entscheidung, die Strafe in Deutschland zu vollstrecken, nur ein Beschluß und kein Urteil und deswegen „der Wiederaufnahme nicht zugänglich“.
Von dem Irrtum des Landgerichts Stade, die Vollstreckung in Deutschland anzuordnen, hatte Karl-Heinz Bersuch zunächst in gewisser Weise profitiert. In den USA saß er nach Angaben seines Rechstanwalts, Christoph Hinkelmann, den ganzen Tag über in strenger Einzelhaft.
Als das Landgericht Stade die achtjährige Strafe für in Deutschland vollstreckbar erklärte, lag ihm eine Schriftliche Begründung des amerikanischen Urteils nicht vor, die Verurteilung Bersuchs durch das Landgericht Arizona wegen „Ausbruchs zweiten Grades“ stufte es deswegen als auch eine Deutschland in strafbare Gefangenenmeuterei ein. Erst Rechtsanwalt Hinkelmann besorgte später das Protokoll der in den USA üblicherweise nur mündlichen Urteilsbegründung. Darin heißt es eindeutig: „Keine Personen wurden bei der Flucht verletzt, es gab gegen niemanden Drohungen. Es war ein Grad der Flucht, bei dem über Drohungen und Gewalt nicht entschieden werden mußte, weil es diese nicht gab.“ Für Christoph Hinkelmann sitzt sein Mandant zwar „ganz legal, aber völlig unschuldig“ in der Haftanstalt Salinenmoor. Dieses Unrecht, für dessen Beseitung sich die niedersächsischen Gerichte nicht zuständig halten, versucht der Anwalt nun durch eine Verfassungsbeschwerde aus der Welt zu schaffen. Jürgen Voges
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