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SanssouciVorschlag

■ Kritische Akrobatik: Cirque Baroque hinterm Tacheles

Am schlimmsten waren immer die Clowns mit aufgeschminkter Träne: Die komisch-melancholischen Rührmänner, die einem nicht einmal die Schadenfreude gönnten und denen es anmaßend hinterherhallte: „Oh, mein Papa war eine große Kinstler.“ Was da mit übergroßen Schuhen und spritzender Plastikblume daherkam, war nie zum Mitlachen geeignet. Zu Recht fristet der konventionelle Zirkus heute sein Dasein auf zugigen Plätzen am Stadtrand. Schön war, als sich vor einiger Zeit ein paar zirzensische Anarchisten zusammenfanden, ihre Kettensägen ölten und Charlie Rivel zerlegten, als sei er der Leibhaftige. In Australien und Frankreich wurde die Idee des Cirque Nouveaux geboren: Statt roter Nase schnallten sich seine Akrobaten einen Plastikphallus um und bestückten sich mit Handgranaten.

Doch die Kettensägen haben ausgeröhrt. Zumindest beim „Cirque Baroque“. Dort hat sich die Nostalgie-Fraktion gesammelt, die allzu Martialischem entsagt, deren Programm aber selten über vage Poesie hinauskommt: In der Adaption des Voltaire-Stücks „Candide ou l'optimisme“ wurde das Subtile verbannt und die Gesellschaftskritik 1:1 in Szene gesetzt. Während sich das Gute in Marionettenfäden verheddert, regiert Ungemach in rotgrüner Uniform, als wäre es die Rote Armee persönlich. Wacker marschiert das zwanzigköpfige Ensemble durch die Manege: Ein wenig Jonglerie, ein Balanceakt auf dem Seil, und wo die Körpersprache verstummt, benutzt der Cirque Baroque bizarre Kostüme, um die beschauliche Bodenakrobatik als ganz großen Erzählzirkus zu verkaufen. So wird selbst aus dem Autodafé noch eine alemannische Fasnacht. Dazu tremoliert die Live- Musik zwischen Laibach und Dire Straits, als gelte es, neue Tatort-Melodien zu komponieren. Natürlich ist es einfach, mit Monstertrucks und Kettensägen den Mad Max in der Manege zu markieren. Doch noch ist der apokalyptische Wirbel von Gosh und Que-Cir-Que zu erfrischend und der Cirque Baroque keine wirkliche Alternative, den Roncalli-Rausch vergessen zu machen. Oliver Gehrs

Bis 19. 5., täglich außer Mo., 20 Uhr, Freifläche hinter dem Tacheles, Oranienburger Str., Mitte. Reservierung: 2835326

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