: Trauminsel in der alten Hauptverwaltung
■ Die Lyrik-Gesellschaft „Orplid“ sitzt dort, wo in der DDR Literatur verhindert wurde. Volker Braun, Elfriede Czurda und andere lasen zum fünfjährigen Jubiläum
Orplid & Co.“ hätte die „Gesellschaft zur Pflege und Förderung der Poesie“ heißen sollen, wäre es nach ihren Gründungsmitgliedern gegangen. Die Verwaltung monierte allerdings das „Co.“, das allein wirtschaftlichen Unternehmungen vorbehalten sei. Das war nicht die einzige Namensänderung, die die Freunde der Poesie im Laufe der letzten Jahre erlebten: Aus der Straße, die nach der kommunistischen Reichstagsabgeordneten Clara Zetkin benannt gewesen war, wurde wieder die Dorotheenstraße. Geblieben ist das Café Clara, seit fünf Jahren Veranstaltungsort für den Verein und mittlerweile eine etablierte Adresse in Sachen Lyrik.
„Du bist, Orplid, mein Land / das ferne leuchtet“ heißt es in Mörikes Schattenspiel „Der letzte König von O.“ in seinem Roman „Der Maler Nolte“. Wie eine Trauminsel nimmt sich denn auch das Unternehmen aus. Mitten in der neuen und alten Hauptstadt, keine fünf Minuten vom Reichstag und dem zukünftigen Kanzleramt entfernt, ist „Orplid“ im Haus der ehemaligen „Hauptverwaltung Verlage und Buchwesen“ untergekommen. Das war die Literaturverhinderungsbehörde der DDR, ein Machtinstrument, das vor allem renitente Autoren zu spüren bekommen haben. Zu denen gehörte zweifelsohne auch Adolf Endler, der heute gemeinsam mit seiner Frau Brigitte Endler und mit Unterstützung von zwei ABM- Stellen das internationale Literaturprogramm der Gesellschaft prägt: Über 150 Autoren haben während der letzten fünf Jahre hier gelesen, darunter Giwi Magwelaschwili und Wolfgang Hilbig, F.C. Delius und Allen Ginsberg.
Die Finanzierung der Veranstaltungen verusacht jedesmal neue Probleme. Mal ist es der Senat, mal die Preußische Seebuchhandlung oder ein anderer Sponsor, der die dringendsten Mittel zur Verfügung stellt. Der Aufwand ist allemal gerechtfertigt, denkt man an den Zuspruch, den die Orplid- Veranstaltungen in der Öffentlichkeit finden. Als die Gesellschaft am Dienstag abend ihr fünfjähriges Jubiläum mit einer Lesung von fünf Autoren feierte, drängten sich weit über hundert Gäste in das Café, das für einen solchen Ansturm nicht ausgelegt ist.
Volker Braun, der Willi Sitte der DDR-Lyrik, begann mit der Lesung und bot eine Mischung aus Geschichtsphilosophie und Arbeiter-und-Bauern-Porno: „Sein Samen mischte sich mit den Atomen des Staubs“ usw. Über Geschmack läßt sich bekanntlich nicht streiten, und über lyrische Vorlieben ebensowenig.
Elfriede Czurda leitete mit ihren Texten („das Wort ist ein Strom, der allen Unrat bindet“) zum unbestrittenen Höhepunkt des Abends über: Adolf Endler las aus den bisher unveröffentlichten „Heften eines irren Fürsten namens Müller“, einem Musterbuch poetischer Formen, das neben einer Ballade unter anderem eine Elegie, ein Sonett, das keines ist, und ein Lehrgedicht enthält. Zu den Aufzeichnungen des irren Fürsten gibt es bereits Sekundärliteratur: Sie lagert im Gauck-Archiv. Was mögen die Stasi-Dödel mit solchen Versen wie „Wenn ich, Herr, was zu sagen hätte, / Mehr sagt' ich nicht: Jette“ angefangen haben? Wie liest sich das Sonett vom Mutter-Butterbrot in der Stasi-Hermeneutik? Im Anschluß lasen Johannes Schenk und Katrin Schmidt. Diskussionen oder ein Gespräch mit dem Publikum gab es nicht, was hier programmatische Bedeutung hat: Die Dichtung soll für sich selbst sprechen.
Auf sieben Jahre sei „Orplid“ zunächst geplant gewesen, sagt Adolf Endler. Sieben Jahre seien ein überschaubarer Zeitraum. Außerdem hänge dies mit einem Rhythmus zusammen, der den Initiatoren, soweit sie aus der DDR stammen, ins Blut übergegangen sei: Nach sieben Jahren ist man immer wieder irgendwo hinausgeschmissen worden. Bleibt im Interesse der „Förderung und Pflege der Poesie“ zu hoffen, daß diese Selbstbeschränkung nicht wirklich ernst gemeint ist. Peter Walther
Nächste Veranstaltung: Lesung aus „Der Kasten“, einem Roman von Ulrich Ziegler, am 30. April im Café Clara, Dorotheenstraße 80, Mitte
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen