Rassistisch einzustufen

■ betr.: „Bonn will keine Entschädi gung zahlen“, taz vom 4. 4. 96

Ich bin Schüler der Herder- Oberschule, und wir waren Ende Januar in Krakau und haben die Gedenkstätte des Konzentrationslagers Auschwitz/Birkenau besucht. Unsere Erfahrungen haben wir in Form einer Dokumentation aufgearbeitet. Ich habe unter anderem versucht, einen Artikel darüber zu verfassen, was das Wissen um die Vergangenheit für uns bedeutet. Wie wird 50 Jahre nach der Befreiung des Lagers Auschwitz mit dem Holocaust umgegangen?

Da wollte ich zuerst die Nachkriegsgeschichte erneut aufwärmen, um das Schweigen der ersten und zweiten Generation zu zeigen, anzuklagen, bis ich merkte, daß dies nicht weit führt, sondern im Gegenteil nur von unserer eigenen Verantwortung ablenkt, die wir heute haben und tragen müssen. Auch mußte ich gar nicht so weit in die Vergangenheit eintauchen, um zu sehen, wie die Deutschen mit ihrer Schuld umgehen – der Bundespräsident hatte ja unlängst bewiesen, daß deutsche Vergangenheitsbewältigung und offizielle Gedenkveranstaltung in Abhängigkeit zu diversen Terminkalendern stehen.

Sehr enttäuscht war ich, als das Wahlergebnis der Republikaner in Baden-Württemberg von keinem als alarmierend angesehen wurde.

Und jetzt diese Meldung von der Verweigerung der Entschädigungszahlungen. Eine starke, aus Hilflosigkeit heraus motivierte Wut überkam mich, als ich lesen mußte, wie unsere „Volksvertreter“ – und das Wort muß man sich in der letzten Zeit häufiger auf der Zunge zergehen lassen – ihre menschenverachtende Unfähigkeit oder Feigheit zum Gedenken der Toten begründen. Die Aussiedlerpolitik der SPD, der Asylkompromiß und die Abschiebungen sind nur einige bekanntgewordene Ereignisse der jüngsten Zeit, die durchaus als rassistisch einzustufen sind. „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem dies kroch!“ Jan-Frederic Kalinkus, Berlin