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Dicker Ärger in der rot-grauen Hansestadt

■ Ist die Hamburger Regierung noch zu retten? Eine hochgeschaukelte Krise um die Bezirksverwaltungsreform kann ohne Gesichtsverlust nicht mehr gelöst werden

Hamburg (taz) – „Mir ist egal, wer unter mir Mehrheitsbeschaffer ist.“ Über diese Äußerung, die Hamburgs Bürgermeister Henning Voscherau (SPD) vom Thron seiner unumstrittenen Macht im Stadtstadt herabließ, war einer der derzeitigen Mehrheitsbeschaffer, die kleine Statt Partei, schon vor einem halben Jahr wenig begeistert. Doch daß Hamburgs Landeschef nun die zwischen SPD und Statt Partei vereinbarte Bezirksverwaltungsreform absägen will, bringt die Grauen in ungewohnt kämpferische Rage.

Heute soll der Bürgermeister, der die Reform selbst einmal angeschoben hat, vor dem Kooperationsausschuß zur Verantwortung gezogen werden. Eine Kompromiß ist nicht in Sicht. „Die Reform war vereinbart!“ jammert der Chef der Statt-Partei-Fraktion, Achim Reichert. Bei einem Vertragsbruch stehe das Regierungsbündnis zur Disposition.

Voscherau hat sich öffentlich festgelegt, daß Hamburg „ein Schiff“ sei, das von seinem Kapitän, dem Ersten Bürgermeister, gelenkt werden müsse. So kann er kaum hinter sein donnerndes Nein zurück. Aber auch die dahinsiechende Statt Partei kann es sich nicht leisten, wieder als Jasager dazustehen.

Henning Voscherau dürfte inzwischen kaum noch wissen, wie er in die Misere geraten ist. Eigentlich konnte er sich nur nicht entscheiden. Er vertagte die seit 20 Jahren geplante Reform von einer Senatssitzung auf die nächste. Seine eigenen SPD-Senatoren wollen eine Modernisierung der Verwaltung und mehr Entscheidungsbefugnisse für die sieben Hamburger Stadtbezirke.

Vergangene Woche nun teilte Voscherau seinen SenatorInnen überraschend mit, daß sie die Bezirksverwaltungsreform gern beschließen könnten. Er aber werde nicht zustimmen. Der Bürgermeister wollte sich offenbar auf die sichere Seite retten: Ist die Reform ein Flop, hat er sie nicht mitgetragen. Ist sie ein Erfolg, kann er sich als Regierungschef dafür auf die Schulter klopfen. Doch das Spiel wollte die Senatorenmehrheit nicht mittragen. Sie weigerten sich, dem Senatschef die Entscheidung abzunehmen. Nun mußte sich der Regierungschef Gründe für seinen Sinneswandel einfallen lassen. Er kam auf finanzielle. Die Verwaltungsreform sei teuer, unmodern, sie würde der Stadt „Blut, Schweiß und Tränen“ bescheren. Experten halten das für absurd. Die Reform soll gerade Kosten einsparen.

Wenn sich der Bürgermeister, die SPD und die Statt Partei heute im Kooperationsausschuß gegenübersitzen, wird es einen weiteren Zankapfel gegen: Die Einführung von Wahlkreisen und das umstrittene Zweistimmenwahlrecht für die Bürgerschaftswahlen. Reicht das nicht als Manövriermasse für eine Einigung und sind die Drohungen der Statt Partei keine leeren, wird Voscherau sich neue „Mehrheitsbeschaffer“ suchen oder eine Minderheitsregierung bilden müssen. Die Grün-Alternative Liste hat aber bereits deutlich gemacht, daß sie Voscherau nicht bis zu den nächsten regulären Wahlen im Herbst 1997 tragen will. Silke Mertins

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