Der Westen muß Milliarden investieren

■ Atomkritische Nuklearexperten und Friedensforscher richten Appell an die Herren des G-7-Gipfels in Moskau

Frankfurt/Main (taz) – Die Friedensforscher machen mobil. Mitte April findet in Moskau das Gipfeltreffen der sieben großen Industrienationen (G7) statt. Zentrales Thema ist die nukleare Sicherheit. In London, Washington, Brüssel und Frankfurt gab es gestern Pressekonferenzen namhafter Nuklearexperten. Sie stellten ihren friedenspolitischen Appell vor, gerichtet an die Herren des Gipfels. In London berichtete der Friedensnobelpreisträger des vergangenen Jahres, Joseph Rotblat, über die Forderungen der Abrüstungsexperten, und in Frankfurt waren es Annette Schaper und Harald Müller von der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung.

Im Kern geht es in dem Appell darum, die Regierungschefs der G-7-Staaten und den Präsidenten der Russischen Föderation, Jelzin, dazu zu bewegen, endlich Verhandlungen über die völlige Beseitigung von Atomwaffen aufzunehmen. Die leader, so Müller, sollen in Moskau die Voraussetzungen dafür schaffen, daß es noch 1996 zu einem Vertragsabschluß über die Kontrolle von Massenvernichtungswaffen kommen kann. Dies betreffe sowohl die noch ausstehende Ratifizierung von StartII (Atomwaffen) durch das russische Parlament als auch die Chemiewaffenkonvention. Zum Abschluß gebracht werden solle auch das Transparenz- und Verifikationsprotokoll für die Konvention zum Verbot biologischer Waffen. Darüber hinaus fordern die Wissenschaftler die Stärkung der Kontrolltätigkeit der internationalen Atomaufsichtsbehörde (IAEO) sowie ein generelles Verbot der Spaltstoffproduktion für Waffenzwecke. Alles fromme Wünsche? Müller weiß, daß vor allem Jelzin den Forderungskatalog der atomkritischen Wissenschaftler und Friedensforscher nicht akzeptieren wird. Aber die Richtung müsse stimmen, meint Müller, sonst gehe der ganze Gipfel nur als „Wahlkampfhilfe“ für Jelzin in die Geschichte ein.

Müller und Schaper nannten vier Forderungen, die unverzüglich umzusetzen seien: Bis zum Jahre 2000 müßten alle Atomkraftwerke vom Typ Tschernobyl geschlossen werden. Gebraucht werden bindende Normen für die Sicherheit von AKW und von militärischen Nuklearkomplexen. Spezialisten in diesen AKW und „Komplexen“ müßten vom Westen bezahlt werden, damit der Atomschmuggel aufhört. Und ein neuer Abrüstungsschritt muß endlich gemacht werden.

All dies wird den Westen Milliarden kosten, sagt Müller, „aber es gibt keine Sicherheit zum Nulltarif“. Die US-Amerikaner würden derzeit nur etwa „ein Promill“ ihres Verteidigungshaushaltes für die Verbesserung der Anlagensicherheit in den GUS-Staaten zur Verfügung stellen. Dabei handele es sich hauptsächlich um die Bereitstellung von Geldern für den Ankauf von Ersatzteilen für die maroden Reaktoren und abgewrackten Anlagen in den militärisch-industriellen Komplexen. Aber die Arbeiter, die die amerikanischen Geräte einbauen sollen und dafür nur noch selten Lohn erhalten, könnten die englischen Gebrauchsanweisungen nicht lesen. Annette Schaper: „Der Westen muß endlich zur Kenntnis nehmen, daß in Rußland auch die sozialen Strukturen völlig zusammengebrochen sind.“ K.-P. Klingelschmitt