: In über 40 Städten leben Leute in ausrangierten Bauwagen, alten Wohnmobilen oder stehengelassenen VW-Bussen. Früher trafen sie sich zum "Familienfest". Jetzt ging es in Berlin an die Öffentlichkeit. Was sie wollen: Verträge und feste Stando
In über 40 Städten leben Leute in ausrangierten Bauwagen, alten Wohnmobilen oder stehengelassenen VW-Bussen. Früher trafen sie sich zum „Familienfest“. Jetzt ging es in Berlin an die Öffentlichkeit. Was sie wollen: Verträge und feste Standorte
Die Burgen denen, die drin wohnen
Heiner bekommt einen Sonderpreis. Als einzigem ist es ihm gelungen, auf dem Berliner Ku'damm einen Reifen seines Lkw zu wechseln. Die anderen Teams befreite die „Stadt im Spiel“-Jury „wegen zu großen Bullenstresses“ von der Stauverursachung auf der Flaniermeile. Sie mußten statt dessen mit ihren Wohnwagen, VW-Bussen oder Lkw möglichst langsam verkehrsreiche Plätze umrunden oder zum „Ballett“ antreten.
BewohnerInnen von Wagenburgen und Hüttendörfern aus 40 Städten Deutschlands trafen sich am Osterwochenende zu den sogenannten „Wagentagen“ in Berlin – unter dem Motto „Stadtentwicklung – Umstrukturierung“ und erstmals in dem Bestreben, als Gruppe an die Öffentlichkeit zu gehen. Statt zum Familienfest riefen die Organisatoren diesmal zu einem politischen Treffen auf, das gestern mit einem Wagenumzug beendet wurde.
Und das – wenn auch zufällig – an einem Wochenende, an dem in Berlin heftig über die sogenannten „Rollheimer“ debattiert wird. Vor Ostern war nahe dem Hauptbahnhof – hinter der East Side Gallery, einem Stück ehemaliger Mauer – ein 19jähriger auf einem Wagenburggelände erstochen worden. Angeblich wollte er bei den dortigen Rollheimern, die bereits länger wegen krimineller Handlungen im Licht der Öffentlichkeit stehen, Drogen kaufen.
Das Treffen wollte sich jedoch nicht vornehmlich mit Gewalt beschäftigen. „Wir dürfen uns nicht davon abhalten lassen, uns den öffentlichen Raum anzueignen“, erklärt Renate, Bewohnerin einer Berliner Wagenburg, und schimpft auf die zunehmende Kommerzialisierung der Innenstädte. „Die neuen Galerien und Shopping- Malls sind allenfalls noch halböffentlich, private Sicherheitsdienste oder Bundesgrenzschutz vertreiben Bettler und Junkies. Für Menschen, die nicht einmal den Anschein haben, für die angebotenen Waren oder Dienstleistungen Geld zahlen zu können, ist selbst der bloße Aufenthalt nicht geduldet.“
„Wir wollten uns nicht weiter in der Verwaltungshierarchie aufreiben“, begründet Susanne das Motto des Ostertreffens. „Die Wagenburgmentalität verlassen, raus aus der Isolation, Kontakte knüpfen mit anderen gesellschaftlichen Gruppen, die durch die Umstrukturierung der Städte bedroht sind.“
Drei Tage lang gab es Vorträge und Diskussionen. Mit der kalifornischen Aktionsgruppe „Food not Bombs“ wurde die Situation US- amerikanischer und deutscher Städte verglichen. Über sechs Stunden zog sich das Städteplenum, auf dem über die Lage der einzelnen Wagenburgen referiert wurde.
„Negieren, verdrängen, kontrollieren“, faßt Renate die drei üblichen Strategien der öffentlichen Verwaltung gegen die Wagenburgler zusammen. Erst tue man so, als ob die Plätze unbewohnt seien, was immerhin einer faktischen Duldung gleichkomme. Sobald jedoch ein Verwertungsinteresse an dem Gelände auftauche, wolle man die Burgbewohner vertreiben. „Um eine Räumung zu legitimieren, wird meist versucht, uns zu kriminalisieren oder die Plätze als chaotisch, unkontrollierbar und dreckig hinzustellen.“ Alternativ würden Verträge angeboten, die aber nur eine kurze Laufzeit hätten und mit konkreten Vorgaben verbunden seien.
Immer wieder kämpfen die Rollheimer mit dem Vorurteil, obdachlos, asozial oder Sozialschmarotzer zu sein. Dabei ist das Leben auf den Plätzen für die meisten eine bewußte Entscheidung. „Wir wollen im Wagen leben – das Leben wagen“, fassen sie zusammen. Die Wagenburgen bieten ihren Bewohnern nach deren Auffassung Freiräume, die so in keiner anderen Wohnform verwirklicht werden können. Die Nähe zu Natur und Umwelt betrachten sie als Bereicherung, die ansonsten in Städten kaum erreicht werden kann. Regenerative Energieerzeugung durch Solarzellen und Windräder, Regenwasseraufbereitung und Müllkompostierung ergeben sich nicht allein aus dem Umstand, nicht an die allgemeinen Versorgungssysteme angeschlossen zu sein. Die Wagenburgler sehen sie auch als Gegenkonzept zum konsumorientierten Lebensstil.
Hinzu kommt die Kombination aus Gemeinschaftsleben und Mobilität. Letztere heißt nicht nur, die Wagen in den Burgen so umstellen zu können, wie es einem gerade paßt. „Etwa zwei Drittel der Leute leben ständig bei uns auf dem Platz“, schätzt Reinhard aus Kassel. „Aber alle machen mal einfach eine Reise und ziehen dann mit ihren Wohnungen los.“ Damit, ergänzt Reinhard, würden sie eigentlich ganz gut in die vom Neoliberalismus geprägte Gesellschaft passen.
Dennoch, das Nebeneinander der verschiedenen Lebensformen in Großstädten ist schwierig. Dies sei der eigentliche Knackpunkt, meinte Hans-Joachim Ditz bei der Abschlußdiskussion über Chancen und Strategien für die Stadtentwicklung. Ditz, Pastoralreferent einer Gemeinde, die neben einer inzwischen geräumten Wagenburg auf dem Berliner Mauerstreifen liegt, sieht vor allem die Angst der Mächtigen, etwas Ungeplantes zuzulassen. Auch die Meinung der Anwohner sei häufig von Ängsten geprägt. Er setzt daher auf Gespräche und Bündnispartner aus dem „bürgerlichen Lager“.
Andere wollen diesen Kontakt jedoch gar nicht. „Kommunikation funktioniert nicht mit denen, die die Wagenburgler vertreiben wollen“, widerspricht eine Rollheimerin. Die Investoren würden schließlich nicht aus Angst, sondern aus Profitgründen kämpfen. „Denen ist doch egal, was mit den Leuten passiert.“
Strategische Imagebeschädigung wird als Gegenkonzept vorgeschlagen. Ähnlich wie bei der Olympiabewerbung müsse man Berlin unattraktiv für Investoren machen. Doch davor warnte in der Diskussionsrunde ein wohlmeinender Akademiker. „Die herrschende Politik ist eine Form der Gewalt, die mit der Angst vor Abweichendem arbeitet“, meint Wolf-Dieter Narr, Politologieprofessor. Eine Gegenbewegung, die genauso auf Angst und Gewalt beruhe, lehnt er daher ab. Seine Lösung heißt „riskanter, aber kalkulierter ziviler Ungehorsam“. Was das heißen soll, mit wem und mit welchen Mitteln Bündnisse geschlossen werden sollen, darüber gab es – wie bei allen derartigen Veranstaltungen – keinen Konsens. Gereon Asmuth, Berlin
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