: Sturm auf die Festung
■ Eine Abschiedsfeier für Raver, Bürger und Diskutanten: Der Ganze Goetz pur und persönlich im Schauspielhaus
Verkehrte Theaterwelt. Im Zuschauerraum sang einsam Madonna, während sich das Publikum auf der Bühne drängelt. Am Samstag lud das Schauspielhaus zum Ende der beiden Inszenierungen Festung und Kritik an Festung zum Festung-House-Fest. Dem Ruf des Front-DJ's Boris Dlugosch in die prunkvolle Theaterhalle folgten erwartungsgemäß auch eine große Schar bunte Raver. Knutschen und Kabbeln, Lachen und Labern – lange nicht mehr im Theater gesehen.
Und mittendrin der Dichter. Rainald Goetz hüpfte puterrot und zufrieden über die Zelebration in der amtlichen House-Uniform, einem orangenen Jägermeister T-Shirt, durch die Gegend. Da mischt sich einer ein und unters Volk. Anders als andere Dichter stilisiert sich Goetz nicht als Stubenhocker und Spaziergänger.
Tags darauf galt dann in der Kantine des Schauspielhauses die Losung einer Figur aus Kolik: „Ich war aufgestanden und der ganze Raum war voll von Tönen und Musikbewegungen.“ Word beschallte den Raum, eine Platte die Texte von Goetz mit ambienten Klängen von Oliver Lieb verschmilzt. In Ledersesseln gammelnd, konnte man nebenher Kolik und anderen Hörspielen über Kopfhörer lauschen. Dabei entpuppte sich das endlose Selbstgespräch eines Trinkers in der Hörspielfassung als monotoner Singsang, der beinahe wie eine Mantra wirkte. Die ausgelegten Schriften wiederum zeigten die graphische Seite der Goetzschen Textproduktion. So scheinen sich seine Worte entlang einer imaginierten Sinuskurve zu hangeln.
Um andere Formen des Verständnises ging es auch in der abendlichen Diskussion mit dem recht schemenhaften Titel Ästhetisches System. Neben Regisseur Anselm Weber und Schauspieler Peter Brombacher waren die Journalisten Diedrich Diederichsen und Helmut Ziegler geladen, den Dichter zu eskortieren. Der unerwartete Andrang im Publikum zeigte wieviel Erklärungsbedarf angesichts der recht hermetischen Stücke von Goetz herrscht. Noch die einfältigeren „Was will uns der Dichter damit sagen“-Fragen beantwortete Goetz aber moderat und um Verständigung und Verständlichkeit bemüht. Helmut Ziegler wieß dabei zurecht darauf hin, daß Festung weniger Auschwitz, sondern vielmehr das Gespräch und Geschwätz über Sujets thematisiere. Der launige Goetz rechtfertigte aber auch Geschwätz über Themen, denn „solange in der Kleinfamilie geredet wird, zückt immerhin keiner das Messer“.
Immer wieder kreiste das Gespräch um das Verhältnis von Argument und Form, um sich immer weiter vom Theater zu entfernen – es sei den, man nimmt die kurzweilige Inszenierung eines Gesprächs als Theater. Denn die die Theater selbst betreffende und bereits in den 70er Jahren ausgetragene Debatte um die „Kreuzbürgerlichkeit“ des Mediums diente Diederichsen und Goetz nur zur Errichtung eines antibürgerlichen Gestus. Ganz gerne tritt man doch polternd offene Türen ein. Volker Marquardt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen