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■ SoundcheckLisa Germano / Elliott Sharp & Carbon

Gehört: Lisa Germano. Ergriffenes Schweigen schloß das vollgestopfte Knust am Freitag von der Außenwelt ab. Hier wurde Musik gespielt, die Stille und Introspektion verlangt. Hier ging es nicht um ein rauschhaftes Auflösen in der Gemeinschaft, sondern um Vereinzelung. Der Bequemlichkeit wegen saß Lisa Germano auf einem Hocker, was für Kleinwüchsige auch jede visuelle Ablenkung verunmöglichte. Nicht die gutaussehende Bardin sollte zählen, die zurecht auch allen "So sweet"-Reduzierungen aus dem Publikum hähmisch begegnete.

Abwechselnd nahm sie Fiedel und Orgel zur Hand, um ihr drittes Album Geek The Girl zu präsentieren. Dabei häutete sie ihre Stücke von allen Finessen der Studioproduktion, daß bisweilen nur noch ein folkiges Skelett zum Tragen kam. Doch gleich mit welcher Instrumentierung, die Songs erwiesen sich als standfest. Die Texte, die ein Mädchen namens Geek in diversen miesen Verfassungen porträtieren, standen dabei in scharfem Kontrast zu den honigsüßen Weisen. Alle Formen von Verstörungen an der Welt wurden thematisiert: von Selbstgesprächen und der Angst daran, verrückt zu werden, bis zum Wolfsgeheul einer Psychopatin. Bei einem Stück über einen Mann, der sie wirklich geliebt hatte, brach ihr die Stimme, vergaß sie den Text. Abbrechend versicherte sie aber souverän: "He was a real ass-hole, and I still like to kill him!"

Für einen Abend lang konnte man sich die Gefühle von Lisa Germanos Figur Geek ausleihen, einer selbstbewußten Frau, die ihre Abgründe nicht leugnet, sondern sie minutiös aufzeichnet. Geek setzt, ganz Romantikerin, gegen Verwirrung ein träumerisches Vertrauen in Schönheit, das jedoch all zu oft vom zynischen Gelächter der anderen verschüttet wird. Wie zur Bestätigung plärrten auch gegen Ende des Konzerts die Spaßtyrannen in Erwartung der Engtanzfete in die Stille.

Volker Marquardt/Foto: JMS

Gehört: Elliott Sharp & Carbon. Der kahlgeschorene New Yorker Geräuschfabrikant, seit fünfzehn Jahren auf der Szene, nahm am Samstagabend das Westwerk zum wiederholten Mal im Sturm und verwandelte es in eine geisterbahnartige Ferti-gungshalle für verwegene Prototypenmusik. Laut, an der Schmerzgrenze zum Lärm, hart, auf der Kippe zum Gewalttätigen, abenteuerlich. Aug in Aug mit der abstrakten Gefahr – so läßt sie sich mit Worten zur Not beschreiben, nie aber umzingeln. Schon weil sie ständig Haken schlug, von Rock zu Noise, zu Free-Funk, Techno, Punk und Niemandsland. Eigentlich praktizierten Sharp & Carbon das, wovor wir – in tapferer Fortführung einer so törichten wie vergeblichen Mission – unsere Kinder warnen müßten, wäre das musikalische Resultat bei aller Schroffheit seines Zustandekommens nicht so hochgradig schön.

Die verschworene Fünferbande agiert aus dem Epizentrum des realen Ungemachs heraus: Werckreis Musik der Alltagswelt. Sharp als unermüdlicher Heizer, der seinem doppelhalsigen Gitarrenbaßmonster einen wohligen Schauer nach dem anderen entlockte und mit den Klangsplittern von Zeena Parkins' Harfe zu einer funkensprühenden Reibung brachte. David Weinstein steuerte beunruhigende Samples bei, Marc Sloan butterte seinen fetten Baß unter, und Drummer Joseph Trump machte seinem schönen Namen mit Händen und Füßen alle Ehre. Andreas Schäfler

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