So sämig nicht!

■ Das Bostoner Klavierduo Brüder Paratore gastierten in der Musikhalle

An einen schönen Nachmittag vor Jahren im Tearoom des Savoy an Londons Strand erinnert sich der Rezensent immer wieder besonders gern. Bei sündhaft teurem Tee lauschte man dort einer sehr rücksichtsvollen Dame, die in einem goldenen Pavillon saß und hintereinanderweg Stücke von Ray Charles, Mozart und Ennio Morricone klimperte. Beim Konzert der Brüder Paratore am Mittwoch in der Musikhalle dachte er wieder an sie.

Ohne goldenen Pavillon, dafür an zwei riesigen Konzertflügeln begannen die Brüder Paratore aus Boston – das Programmheft zählte sie zu den weltbesten Klavierduos – mit der Phantasie f-moll von Schubert. Dieses herrliche Stück Spätstil für Klavier zu vier Händen ist eine verkappte Sonate, hebt an mit einem wundersam ergebenen Liedthema in resignierten Quartsprüngen, setzt im weiteren ein kräftig trotziges Thema dagegen, gerät ins Fugieren auf jene unorthodox nichtfertige Art, wie sie Schubert perfektioniert hat, und läßt die resignierte Ergebenheit immer wieder auftauchen, meist nach brucknerschen Generalpausen zum Durchseufzen. Aber die Brüder Paratore spielten das alles harmlos und goldig, wie die Dame im Tearoom. Es gab nichts zu seufzen.

Mozarts Sonate K. 448 ist schon als Stück kaum mehr als Gesellschaftsmusik. Aber so sämig und „elegant“ muß man ihn ja nicht auch noch spielen.

Nach der Pause Rachmaninows Suite Nr. 1 op. 5, ein Stück zum Dösen und Träumen, bei dem man sich nur ab und an wundert, daß ein Musiker nach Schönberg noch so überzeugend wie Chopin schreiben konnte. Die Brüder blieben sich treu. Das Largo freilich klang schön, vermutlich, weil Schläfrigkeit und Melancholie so leicht zu verwechseln sind. Die Osterglocken im letzten Satz rissen die Leute gar zu Beifallstrampeln hin.

Da konnte mit Gershwins Rhapsody In Blue nicht mehr viel schiefgehen: Musiker, die da nicht wenigstens sekundenlang zum Leben erwachen, gibt es nicht. Verlorene Abende können wunderbar sein. Dieser zählte freilich zu den vielen, vielen Ausnahmen. Stefan Siegert