■ Standbild: Kanzler doch gut
„Farbe bekennen“, Donnerstag, 21.35 Uhr, ARD
Da hatten sie bis Ostern gewartet, um den christlichen Kohl gewogen zu stimmen, hatten sich sogar Kopien der Kanzlerbrille anfertigen lassen, und doch kannte er kein Erbarmen mit ihnen: „Wir machen hier kein Pingpong, sondern ein vernünftiges Interview“, ließ er Nikolaus Brender (WDR) und Sigmund Gottlieb (BR) gleich zu Anfang wissen. Und unter einem vernünftigen Interview versteht Helmut Kohl immer noch den gepflegten Monolog: „Ich weiß, was ich will, und das diskutieren wir in den nächsten Tagen.“ Was wohl heißen sollte, nicht jetzt und nicht hier.
Denn im idyllischen Bad Hofgastein sieht die Welt und speziell Deutschland ganz anders aus, zumal wenn man als gewichtiger Kanzler frisch entschlackt ist. Da verschwindet die Arbeitslosenzahl schnell mal im Alpenglühn, und sogar die Renten erscheinen aus der Entfernung plötzlich viel sicherer: „Alles finanzierbar, wenn wir uns solidarisch verhalten.“ Alles kein Problem für ihn – vor allem dieses Interview nicht.
Die Berge und Kohl, das war offensichtlich beides zu hoch für die öffentlich-rechtlichen Chefredakteure. Die Antworten, die sich Kohl auf seine Fragen gab, klangen, als hätte er noch nie in der Regierung, sondern immer schon vor diesem geblümten Bauernschrank in der Wirtsstube gesessen. Während Brender und Gottlieb zunehmend unsicherer auf ihren gedrechselten Stühlen herumrutschten, kam Kohl immer besser mit sich ins Gespräch: „Wir alle haben auch familiäre Probleme.“ Und damit bei den Zuschauern keine Zweifel aufkommen konnten, daß das womöglich gar nicht der Mann war, den alle Kohl nennen und der seit 1983 Bundeskanzler ist, blendete die Redaktion vorsichtshalber noch einmal Namen und Berufsbezeichnung ein.
Daß man sich für Kohl subtilere Verhörmethoden ausdenken muß als einen bloßen Fragenkatalog, hätten die Gesandten aus dem fernen Deutschland eigentlich wissen können. „Was wollen Sie denn eigentlich überhaupt?“ entlud sich Kohls geballte Unlust nicht ganz zu Unrecht in einem finalen Raunzen. Das wußten Brender und Gottlieb da schon selbst nicht mehr so genau. Vielleicht wollten sie ja wirklich nur die Statistenrolle in einer Neuauflage des Kammerspiels mit dem Titel „Kanzler doch gut“ spielen. Und vielleicht ist das doch keine so gute Idee, den Bundeskanzler immer Ostern zu befragen. Nach der Fastenzeit, wenn der gewaltige Körper frei von Gift und energiegeladen wie selten ist. Oliver Gehrs
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