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"Ich bin ein Krimineller, kein Literat"

■ Vor 10 Jahren, in der Nacht vom 14. auf den 15. April, starb Jean Genet in einem Pariser Hotel. Andreas Meyer, der Genet seit den 50er Jahren verlegt, erinnert sich an einen charmanten Autor, für de

taz: Herr Meyer, wie haben Sie Genet kennengelernt?

Andreas Meyer: Gerhard Hock vom Goethe-Institut Paris hat den Kontakt hergestellt. Die Autoren des Absurden Theaters, zu denen Genet ja nicht gehörte, waren alle schon in festen Händen. Genet war damals eine Persona non grata. Obwohl das Sartre-Buch [„Saint- Genet, Komödiant und Märtyrer“, 1952; d. Red.] schon erschienen war, mochte man ihn nicht. Zunächst haben Genet und ich korrespondiert, auf französisch. Er kam bald mehrfach nach Hamburg. Das erste Mal wohnte er im Hotel Kronprinz, an solchen Sachen hatte er seine Freude: Der „Kriminelle“ beim preußischen Prinzen. Genet war ein wunderbarer Mensch, präzise, fair, sehr charmant. Meiner Frau brachte er Rosen mit. Er war einfach rührend. Für seinen Freund Abdallah, der Seiltänzer war und später so schrecklich verunglückte, mußten wir einmal ein Probeseil besorgen. Er war der erste Araber, den ich kennengelernt habe, ein ganz wunderbarer Junge. Genet hat ihn überfordert. Er hat in ihn etwas hineinprojiziert, das er nicht darstellen konnte. Wie ein Vater seinen Sohn hat Genet ihn behandelt.

Sie haben im Laufe der Jahre fast alles von Genet verlegt.

Mit den Theaterstücken – mit denen ich anfing – hatte ich Glück, weil sie sich, obwohl es anfangs etwas schwierig aussah, rasch durchgesetzt haben. Zadek ist mir unbewußt zu Hilfe gekommen. Als er in London den „Balkon“ inszeniert hatte, gab es einen Skandal. Das ging durch die Zeitungen, auch in Deutschland. Vorher hatte ich von Dramaturgen die absurdesten Absagen bekommen: Genet sei voriges Jahrhundert, wie ich so etwas nur anbieten könne. Aber nach dem Zadek-Skandal sah das plötzlich anders aus.

Rowohlt hat „Querelle“ verlegt. Wie kam es, daß bei Ihnen die anderen Romane erschienen?

Genet war sehr glücklich, daß das mit den Stücken so schnell lief. Er fragte mich dann, ob ich nicht auch mal einen Roman verlegen wollte. Ich hatte kein Geld...

... dafür dürfte Genet wohl Verständnis gehabt haben.

Ja, seine Stücke habe ich auch immer ganz billig bekommen. Normalerweise mußte man für Rechte einen Vorschuß zahlen. Den Verlag wollte ich als Bühnenverlag betreiben, weil das nicht so viel Geld kostete. Die Produktion war billig, man brauchte nur etwa hundert Exemplare für die Theater zu machen. Wenn ich Genets Romane damals nicht genommen hätte, das wußte ich, dann wären sie für mich weg gewesen.

Hubert Fichte zufolge soll Hans Henny Jahnn der Übersetzerin Ruth Uecker-Lutz bei „Querelle“ mit obszönen Wörtern ausgeholfen haben. Ein Mythos?

Ja, das halte ich für einen Mythos. Jahnn habe ich gut gekannt, und auch Fichte tauchte damals auf, der mir ein frühes Stück schickte. Ist alles lange, lange her. Uecker-Lutz war selbst hochgradig gefährdet, sie nahm wahrscheinlich Drogen. Daß Hans Henny Jahnn ihr geholfen hat, halte ich für ausgeschlossen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß er es überhaupt mit ihr ausgehalten hätte. Ihre Übersetzung ist aber gut geworden. Wissen Sie übrigens, daß Jean Genet und Hans Henny Jahnn sich begegnet sind? Rowohlt gab eine Party für Genet, etwa 1958 oder 59. Da waren Hans Erich Nossack und Hans Henny Jahnn aus Hamburg, und dann gab es ja auch noch den Günther Weisenborn. Fichte war noch jung und wohl nicht dabei. Ich als Verlagskollege war auch nicht da. Aber Rolf Italiaander natürlich. Es gab eine große Tafel, die Herren mit ihren Frauen haben Kuchen gegessen. Genet soll aufgestanden sein und verkündet haben, er könnte auf die Fragen nicht antworten, er sei kein Literat, sondern Krimineller. Daraufhin Frau Jahnn pikiert: „Unerhört, mein Mann hat früher auch gestohlen!“ Obwohl da gute Leute saßen, war ein Kaffeekränzchen natürlich nicht Genets Welt.

Warum hat Rowohlt 1955 ausgerechnet „Querelle“ verlegt?

Zwar ist es Unsinn, Genet für pornographisch zu halten, aber wenn man es tut, dann ist „Querelle“ in der Tat der „pornographischste“ von Genets Romanen. Nicht zufällig hat Rowohlt Henry Millers Bücher gegen „Querelle“ getauscht. Die Staatsanwaltschaft war damals noch ganz streng in bezug auf den „Unzüchtigkeitskeitsparagraphen“. Es wurde ein Kompromiß gefunden. Dafür, daß Rowohlt „Querelle“ einstampfte, blieb dem Verlag der Henry Miller erhalten. Rowohlt hat den Prozeß nicht geführt, sondern ich. Der große Literaturprozeß nach dem Krieg ging um „Notre-Dame des Fleurs“. 1962, nach zwei Jahren Prozeßdauer, fiel das Urteil zu meinen Gunsten aus.

Der von Hubert Fichte vielgerühmte Staatsanwalt Ernst Buchholz war in diesem Prozeß dabei?

Genau. Wie ein Renaissancefürst kam er in den Saal und plädierte – für mich unerwartet – auf Freispruch. Zwei Wochen nachdem „Notre-Dame des Fleurs“ erschienen war, bekam ich ein Schreiben von der Staatsanwaltschaft Hamburg, in dem ich gebeten wurde, ein Exemplar des Romans zur Überprüfung zu schicken – es bestünde der Verdacht auf Unzüchtigkeit. Ich habe das Buch geschickt und eine Rechnung beigelegt. Antwort: Dafür habe das Gericht keine Mittel. Dann habe ich als Kompromiß vorgeschlagen, daß ich das Buch dem Gericht so lange leihe, bis der Prozeß zu Ende ist; danach wollte ich das Exemplar zurückbekommen. Nach der Verhandlung rief mich der Gerichtssekretär wegen unserer Vereinbarung an. Wenn er mir das Buch zurückgäbe, hätte das Gericht nichts in den Akten, und das ginge nicht. Neuer Vorschlag meinerseits: Das Gericht gibt mir sein Exemplar und bekommt von mir ein neues. Jetzt habe ich das wunderbare Exemplar mit allen Anstreichungen! Ein Jahr nach dem Gerichtsurteil hat auch Rowohlt „Querelle“ wieder aufgelegt.

In Rowohlts Neuauflage von 1963 steht dann immer noch die eigenartige Klausel, derzufolge der Käufer sich verpflichtet, „den Band verschlossen aufzubewahren und Jugendlichen nicht zugänglich zu machen“. Er darf „den Band außerdem weder privat noch gewerblich ausleihen“.

Es gab drei gesetzliche Schienen: Jugendgefährdung, Unzüchtigkeit und Freiheit der Kunst. Im Grundgesetz ist die Freiheit der Kunst garantiert. Deshalb konnte Buchholz, obwohl Genet damals als jugendgefährdend angesehen wurde, auf Freispruch plädieren. Über meinen Prozeß wurde u.a. in der Welt geschrieben, der Merlin- Verlag wurde für seinen Mut gelobt. Heinrich-Maria Ledig-Rowohlt hat dann in einem Leserbrief einklagen wollen, sein Verlag habe Genet als erster verlegt. Das stimmt, aber den Prozeß hat Rowohlt nicht geführt. Verlagspolitisch war das natürlich klug: Die Auflagen der Miller-Bücher wären mit Genet niemals erreicht worden. Erstens ist „Querelle“ schwierig, zweitens geht es um Homosexualität.

Warum haben Sie Genets letzten großen Prosatext „Un captif amoureux“ (Ein verliebter Gefangener) nicht verlegt?

Der Verlag Kiepenheuer & Witsch hatte einfach mehr Geld. Das Buch hat sich aber nicht so gut verkauft, wie Kiepenheuer es sich wohl erhofft hatte. Interview: Ina Hartwig

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