: Eine Knalltüte kommt selten allein Von Ralf Sotscheck
Irgend etwas muß im Trinkwasser von Dungarvan sein. Das Nest in der südirischen Grafschaft Waterford ist schon wieder wegen geistigen Durchfalls eines Bewohners in die Schlagzeilen geraten. Zuerst war es der Pfaffe: Michael Kennedy, Mitglied des berühmten US- irischen Clans, warnte voriges Jahr bei der Sonntagspredigt, daß eine Rächerin aus Haß auf alle Männer die halbe Dorfjugend mit Aids infiziert hätte. Wochenlang wurde der Ort von der Presse aus aller Welt belagert, von Täterin und Opfern aber keine Spur.
Jetzt meldete sich Stadtrat Paddy Kenneally zu Wort. Je schneller man die Flinten geladen habe, um die Traveller aus der Grafschaft zu vertreiben, desto besser, tönte der Dorfpolitiker. „Die Leute in Dungarvan wollen nicht dasselbe durchmachen wie letzten Sommer mit all den Einbrüchen“, fügte er hinzu. „Die Landbevölkerung traut sich nicht, ihre Häuser unbeaufsichtigt zu lassen.“ Auslöser für Kenneallys Mordlust ist ein Halteplatz für die Wohnwagen der Traveller im Dorf. Die Fahrenden sind zwar Iren, aber sie gehören dem Verband der Sinti und Roma an. Früher hießen sie „Tinker“, was den Klang eines metallverarbeitenden Hammers beschreibt, mittlerweile aber als Schimpfwort gilt. Der neue Name konnte an dem alltäglichen Rassismus nichts ändern – Kenneally ist kein Einzelfall. In vielen Kneipen, Restaurants, Supermärkten oder Waschsalons haben Traveller keinen Zutritt, in den Schulen werden ihre Kinder seperat unterrichtet, und bei Verbrechen sucht man zuerst unter ihnen nach Verdächtigen. Die berühmte irische Gastfreundschaft kennt eben ihre Grenzen – dafür sorgt auch so manche Zeitung, die die Pogromstimmung kräftig schürt.
Zum Beispiel der Sunday Independent, Irlands Dumpfblatt Nummer eins, und seine Journalistin Mary Ellen Synon. Einen Tag lang war sie weltberühmt – wegen ihrer Affäre mit Rupert Pennant-Rae, dem Vizechef der Bank von England. Als er sich vor einem Jahr von ihr trennte, veröffentlichte sie 200 Liebesbriefe und Hotelrechnungen. Pennant-Rae mußte zurücktreten. Doch, ach, Synons Ruhm verblaßte schnell, und so verlegte sie sich auf rassistische Artikelchen. Traveller seien eine niedrige Lebensform, nicht besser als ein Tier auf dem Feld, und ihre Wohnwagenlager stinken wie Abwasserkanäle, schrieb sie.
Als sie für diesen erbärmlichen Mist öffentlich gerügt wurde, sprang ihr ein Kollege von der Irish Times zur Hilfe. Kevin Myers, der Mann mit dem Airbag im Kopf, kennt bei seiner Arbeit nur ein Prinzip: Auffallen um jeden Preis. So hetzt er mal gegen Schwule oder Arbeitslose, mal gegen Linke oder Gewerkschafter – oder gegen Leserbriefschreiber, die es wagen, die eitle Knalltüte zu kritisieren. Diesmal ging es gegen alle, die sich über Synan beschwert hatten. Schließlich habe sie vollkommen recht, bescheinigte ihr Myers. Eine Hand wäscht die andere: Synan hatte sich in ihrem Anti-Traveller- Erguß auf Myers berufen, den sie als „letzten denkenden Journalisten bei der Times“ bezeichnete.
Die beiden sollten sich in Dungarvan von Pfarrer Kennedy trauen lassen, ihre Computer vernetzen und gemeinsam Dünnschiß produzieren, den sie abends dem Dorfdeppen Kenneally vorlesen. Und am Wochenende macht man gemeinsam Jagd auf Traveller.
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