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Der Karikatourist aus Bonn

Ministerialrat Prof. Walther Keim, Leiter der Pressedokumentation des Bundestags, und seine „zweite Welt“: Karikaturen sammeln  ■ Von Bernd Müllender

Bei Walther Keim zu Wort zu kommen ist eine Kunst. Ohne Unterlaß erzählt er hiervon, davon, dortvon; zeigt dieses und jenes; läßt im Stakkato wichtige Namen fallen aus der Welt des satirischen Strichs, gibt Anekdoten, Zahlen, Begebenheiten kund. Nach wenigen Minuten ist der Besuchertisch in seinem winzigen Büro zur unüberblickbaren Halde aufgeschlagener Bücher, Mappen und Examensarbeiten mutiert.

Keim sagt, es heiße „Keim hat alles“. Alles zum Thema Karikaturen jedenfalls. Der Sammler, der zum Zeichnen keinerlei Begabung sein eigen nennt, kann sich aber selbst so be-zeichnen: „Ich bin ein Karikatourist.“ Ministerialrat Walther Keim (61) ist Leiter der Pressedokumentation des Deutschen Bundestages.

Das ist sein Job. Abfallprodukt – im wahrsten Sinne des Wortes – sind die Karikaturen: 1976 war es, er hatte seine Arbeitsstelle gerade angenommen, da sah Keim, wie ein Mitarbeiter beim Heraussuchen wichtiger politischer Artikel einige Cartoons achtlos zu Boden fallen ließ. Was denn damit passiere? „Wegwerfen!“ Keim sah sich „emotional getroffen“. Fortan wurde ausgeschnitten, aus täglich 120 Zeitungen, Magazinen, Pressediensten. Keim erklärte die Zeichnungen zur Chefsache und sortiert die Ausschneideware seitdem jeden nachmittag selbst. Wenn er in Urlaub ist, wird alles für ihn gestapelt. Dann folgen Spätschichten. 180.000 Zeichnungen sind heute beisammen, die größte Karikatuensammlung Europas.

Archiviert wird konventionell – mit Schere, Kleber, Papier, Karteikarten. In Hängeordnern ist alles nach Ländern, Themen, Personen sortiert. „Noch ganz alte Schule“, sagt Keim beim Rundgang, „zack, ein Griff in den Hängeordner, und ich habe doch alles.“

Keim hat seine Definitionen. Die sportliche: „Karikatur kämpft mit dem Florett und nicht mit dem Säbel.“ Die musikalische: „Karikatur ist die Orchesterbegleitung zum Bühnenstück.“ Die körperliche: „Sie ist optisches Juckpulver, daß sich der Betrachter kratzen muß.“ Die pädagogische: „Karikatur ist humanistische Prügelstrafe.“ Die denksportlich-logische: „Eine gute Karikatur darf keine Rätsel aufgeben. Sie sagt immer ja oder nein, niemals jein.“

Dabei ist Walther Keim selbst eine Art beamtetes Jein. „Ich lebe in zwei Welten“, sagt der „nicht ganz typische Beamte“. Allein schon, weil er, was in seinen Kreisen so selten ist wie überbordender Arbeitseifer, ohne Parteibuch im Klüngel-Dschungel des Bundestages überlebt. „In Bonn braucht man immer einen Meter Abstand, um sein Rückgrat zu bewahren.“ Und: „Das Beamtendasein allein würde ich nicht aushalten.“

Karikaturen als sozialhygienisches Regulativ. Längst ist Walther Keim mehr als Sammler und Sachwalter. An die 20 Cartoonbücher hat er herausgegeben (darunter über seine staatsdienenden Kollegen: „Der total perfekte Beamte“), er organisiert Ausstellungen, Workshops, Nachwuchswettbewerbe, besorgt Sponsoren.

Nach der Wende gab er Ost- ZeichnerInnen „Hilfestellung, um hier ins Geschäft zu kommen“. Mit gutem Grund: „Karikaturen aus dem Osten sind oft illustrativer und psychologisch tiefgängiger.“ Keim hat einen Lehrauftrag zum Thema an der Uni Münster und hilft mit seinem Archivmaterial Fernsehredakteuren, Auslandskorrespondenten und bei Magister- und Doktorarbeiten.

Eine hieß: „Die bipolaren Eigenschaftsdimensionen bei Helmut Kohl und Helmut Schmidt als Bundeskanzler in der Karikatur.“ Seit 1984 erstellt Keim eine jährliche Hitliste. Helmut Kohl führt sie seit Jahren an (siehe Tabellen), insgesamt sind 16.000 Kari-Kanzler archiviert. Was dem Oggersheimer Original indes wenig gefällt. „Was man so hört, ist er nicht gerade ein Freund eigener Karikaturen.“

Eine Ausnahme – denn die meisten PolitikerInnen lechzen nach zeichnerischer Satire ihrer selbst: Genscher hat sich und seine Ohren mit Freuden gesammelt; auch, sagt Keim, alle Bundespräsidenten außer Lübke, und viele andere. Was Keim an der Enttäuschung der persönlichen Politiker-Referenten merkt, wenn er mal wieder nichts hat: „Die muß ich dann manchmal richtig trösten.“

Folgt die nächste Definition, aus Opfersicht: „Wer in der Zeitung steht, ist bekannt; wer karikiert wird, ist populär.“ Karikaturen tadeln – und adeln zugleich. Wahrlich nicht jedeR Großkopferte eignet sich für die spitze Feder. „Rexrodt, Stoltenberg, Rühe, Seehofer – die sind ganz schlecht, Allerweltsgesichter für einen Karikaturisten. Strauß war für jeden eine Freude, Waigel mit dem Schnurrbart oben ist sehr leicht, Fischer gibt auch viel her, hat sich aber sehr geändert: Früher standen die Turnschuhe im Mittelpunkt. Jetzt häufiger der Bauch.“

Und Frauen, insbesondere Politikerinnen? „Das ist ganz, ganz schwierig“, sagt Keim, „ein Tabu wie Ignatz Bubis. Da trauen sich viele nicht ran, weil sie Angst haben, als Antisemit zu gelten oder als Chauvi.“

Da wird Keim zum Beschützer alter Schule: „Frauen verhärmen oft in den Bildern. Sie sollen verzeichnet werden, aber nicht verfratzt. Frauen wollen doch auch in der Karikatur noch schön sein ...“

Er zieht – zack, ein Griff – einen dicken Süssmuth-Stapel aus dem Hängeordner: „Nein, sehen Sie mal ... Und hier, nicht schön, so streng, verbissen, nein ...“ Spätestens hier merkt man, daß Keims Lieblingszeichnungen nicht die giftigen und unverschämten, die manchmal herrlich geschmacklosen sind.

In seinen Büchern reihen sich Bilder aus bürgerlichen Zeitungen – von Hanel, Hanitzsch, Haitzinger, Mussil; nicht seine Welt sind die Meister der „Frankfurter Schule“ um Bernstein, Waechter, Poth, Raddatz, und auch nicht Seyfried, Fritsche, Moers. Immerhin: tazzens Tom bekommt noch ein knappes Lob: „Mag ich. Guter Mann.“ (Was er noch gut findet, hat er für diese Seite ausgesucht).

Keims persönliche Definition: „Karikatur will bloßstellen, verzerren, auch verletzen, aber es fließt kein Blut wie bei den Kampfbildern im Dritten Reich. Karikaturen sind immer auf der Seite der Freiheit und für mich ein republikanisches Vergnügen.“

Immerhin: „Erlaubt sein muß alles“, sagt Keim ganz im Sinne Kurt Tucholskys, „auch Böses, aber nicht um des Bösen willen allein. Eine gute Karikatur muß immer einen Wahrheitsgehalt haben.“ Keim als Beobachter der Karikatur-Historie: Qualitativ, sagt er, waren die späten sechziger Jahre eine Hochzeit der Karikatur.

Quantitativ hat der Satire-Zeitgeist seinen Höhepunkt offenbar gerade hinter sich. Nach einem Plus von dreißig Prozent in Tageszeitungen in den fünf Jahren nach der Wende geht die Tendenz mittlerweile wieder zurück. „Fotos und Agenturmaterial sind halt billiger“, bedauert Keim. Und: „Die Toleranz gegenüber Satire wächst nicht.“

Am wenigsten bei religiösen Themen, da gebe es nach wie vor „den meisten Knatsch“. Und es gebe in Deutschland keine Ausbildung, der Nachwuchs sei wenig vielversprechend, vor allem gebe es viel zuwenig zeichnende Frauen. Etwas anderes aber macht den lachfreudigen Keim besonders traurig. „Ich könnte das Heulen kriegen, daß hier nicht schon gleich 1950 mit dem Sammeln begonnen wurde.“

Ein Vierteljahrhundert Lücke in der deutschen Geschichte: Was da für Schätze untergegangen sein mögen, was man da hätte zusammentragen können. Und was es dann noch alles zu erzählen gäbe.

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