: Waschweib mit Sprungbegabung
Bis daß der Tod uns scheidet: Auf alle Ewigkeit ist Johanna König mit Ariel verheiratet – der „Firma“ ■ Von Constanze von Bullion
Ollie 1 war der erste. Dann kamen Ollie 2, Fipsie, Schnuffie, Antoinette, Friedolin und Cinderella. Die Köter hören nicht auf zu kläffen, als Johanna König die Tür ihres Holzhäuschens in Berlin-Kladow aufschiebt. Atemberaubend ist ihre Aufmachung: kirschrote Strickkombination mit passendem Stirnband, dazu ein rosarotes Halstuch und gestreiftes Brillengestell. Die kleine stämmige Dame mit dem Honig in den Kulleraugen hält Audienz – in einer Rattanschaukel. Zwischen Trockenblumen und Fotoalben.
Johanna König alias Klementine, bewährte Hundemutti und resolute Ariel-Heilige, unumstrittene Heldin deutscher Hausfrauen und Expertin porentiefer Reinheit, feierte vor ein paar Tagen ihren 75. Geburtstag.
Rund 250 Gäste hatte Ariel- Hersteller Procter & Gamble zum Bankett in den Berliner „Wintergarten“ geladen. Eine „außergewöhnliche Revue“ kündigte der Konzern an, einer der größten Hersteller von Wasch- und Reinigungsmitteln in den USA. Meister Propper und Lenor, Pampers und Valensinasaft kommen aus diesem Haus. Die Erfinder des schlechten Hausfrauengewissens – „Hast du auch wirklich Lenor benutzt?“ – wollen Klementine, ihre selbstgemachte Legende, hochleben lassen.
Muß man sie noch vorstellen? Gibt es wirklich Leute, die die Zeiten nicht mehr kennen, als kilometerlange Wäscheleinen mit Weißer-Riese-bleichen Leintüchern sich über Berg und Tal zogen? Die Ära, als das Werbefernsehen mit dem gefälschten Knotentest Omos Waschkraft beschwor? Und als uns eben Klementine in immer weißer Latzhose, kariertem Hemd und Schiebermütze die Augen dafür öffnete, daß Ariel nicht nur sauber, sondern rein wäscht?
Ein eigenartiger Aufzug, in dem sie da auf dem Bildschirm aufkreuzte: Fabelwesen zwischen Waschmaschinenmonteurin und Oberärztin, nicht eben elegant, aber mit dem robusten Charme einer alten Freundin, deren Ratschläge keinen Widerspruch dulden. Kindheit in den Siebzigern ohne Klementine? Undenkbar.
Wer ist sie wirklich, dieses stets gutgelaunte Waschweib, dem heute noch wildfremde Hausfrauen auf der Straße um den Hals fallen oder sie küssen wollen und zu deren Party man die gesammelte Presse der künftigen Hauptstadt vorgeladen hat? Während die letzten Vorbereitungen laufen, rutscht das Geburtstagskind ungeduldig auf seiner Rattanschaukel hin und her. Stillsitzen hat nie zu den vielen Talenten der Johanna König gehört.
Schon mit neun Jahren hüpfte die strohblonde Tochter des königlichen Hofkochs von Sachsen im Kinderballett über die Bühne der Dresdener Staatsoper. „Ich hatte“, erinnert sie sich, „'ne Sprungbegabung.“ Später lernte sie bei der exzentrischen Ausdruckstänzerin Mary Wigman. Zu Führers Zeiten war sie dann schon Solotänzerin, tanzte im Deutschen Reichsballett: „Wir waren das Paradepferd der Regierung.“ Und landete 1944 am Fließband einer Munitionsfabrik. Der Krieg ging zu Ende, Johanna Königs Karriere nicht. Die 21jährige verließ Dresden, in dessen Trümmern ihre Mutter mit der halben Verwandtschaft umgekommen war. Mit Operetten, Schauspielerei und Ballett schlug sie sich nach Berlin durch. Ehrgeizig? „Nää, eigentlich nicht“, sächselt sie kopfschüttelnd, „zumindest nicht, solange keiner eine Pirouette mehr machte als ich.“ Ihre Kreisel drehte die quirlige Person, die sich selbst auf 1,56 Meter schätzt, ab jetzt im „Kabarett der Komiker“ am Berliner Nollendorfplatz. Nachmittags schwenkte sie die Beine für alliierte Soldaten, alberte abends durch Kabaretts und trat nachts für eine Handvoll Mehl oder Kaffee bei Revuen auf. „Eine scharfe Zeit“, meint sie heute, Ollie 1 blieb immer an ihrer Seite, der Dackel. Felix Hock kam erst später.
Felix Hock ist der Mann, der das Gespräch mit Ariels Ikone aus einem tiefen Ledersofa am anderen Ende des Wohnzimmers verfolgt. Seit 45 Jahren ist er mit Johanna König verheiratet, bekannt gemacht hat die beiden der Kabarettist und Apo-Opa Wolfgang Neuss: „Ein „völlig abgerissener Typ mit blondgefärbten Haaren“. Mit dem späteren Hanfjünger tingelte Konzertdirektor Felix Hock durch die hessischen Dörfer. Gemeinsamer Nenner des ungleichen Paares: Frauen. Neuss entdeckte Johanna König, Hock heiratete sie – und wurde ihr Manager.
Aus der Traum vom Ballett.
Eine anständige Hausfrau und treusorgende Mutti wurde trotzdem nicht aus der Frau, die auch weiter Johanna König hieß. Nachwuchs? „Da war mein Mann eisern: entweder Kinder oder Karriere.“ Schließlich wollte sie die lieben Kleinen „nicht ins Internat geben und die schönste Zeit, die verpaßt man dann“. Mit einem grünen VW-Käfer eierte sie fortan quer durch Europa. Ehemann und Dakkel im Schlepptau. Ihr „Ballerinchen“, eine überdrehte Balettparodie, wurde zur Erfolgsnummer.
Nur manchmal gab es Ärger. Zum Beispiel als sich ein belgischer Kapellmeister weigerte, auch nur einen Takt Musik zur Nummer der deutschen Tänzerin zu spielen, „das war ein ganz, ganz Fieser“. Wenige Jahre nach Kriegsende hatten auch die Norweger noch keine Lust, sich den Stierkampf- Hit „Auf in den Kampf, Torero“ auf deutsch anzuhören. Und das, obwohl Felix Hock keine Sekunde an der völkerverbindenen „Vorreiterrolle einer jungen Deutschen“ zweifelte.
Auf einer ihrer Varieté-Tourneen, so erzählt es die Legende zum tausendstenmal, ging Johanna König in ein Londoner Warenhaus. Dort stand es – Ariel. Unter anderem Namen. Das Wunderpulver hat Johanna König sofort an ihren Kostümen ausprobiert. Und nie wieder vergessen: „Meine Tutus wurden wunderbar!“ Was anderes würde Johanna König ohnehin nie über die Lippen kommen.
Wenig später erfuhr sie, daß die amerikanische Ariel-Firma eine Werbefigur für das neue Waschmittel suchte. Johanna König sprach als erste beim Casting vor. Blubberte in gewohnter Manier auf der Bühne herum – und bekam einen Vertrag. Der von einem auf zwei, dann auf fünf, und kürzlich nochmal, sozusagen für die Ewigkeit, verlängert wurde.
Das Pulver benutzt sie heute noch. Für die rotweißkarierte Bluse, die sie neuerdings wieder für die Werbespots vor der Kamera tragen muß, und für die rotweißkarierten Vorhänge in ihrer Küche, die zu den rotweißkarierten Kacheln und den rotweißkarierten Deckchen paßt. Nur für die Pullover ihres Mannes scheint Ariel nicht zu taugen, an die läßt sie nur Wasser und Woolite. Von Ariel ist sie „echt überzeugt“, muß sie ja auch sein. „Die Firma“ habe, wie Klementine nicht müde wird zu betonen, „mir immer alles in den Schoß gelegt“.
Als es um halb neun Uhr abends dann den ersten Blumenstrauß gibt, dürfte nicht nur Johanna König, sondern auch die etwa 200 Gäste an den gedeckten Tischen kurz vorm Verhungern sein. Wo bleiben die versprochenen Ariel–Nudeln und der rot-weiß-grüne Dill- Lachs? Große Worte für die kleine Frau im samtverkleideten „Wintergarten“, das Loben nimmt kein Ende. Johanna König, die Künstlerin, die unerschrocken gegen die „weiße Frau“ von Persil antrat, „Reinweichen statt Einweichen“ salonfähig machte und sich einen „festen Platz im Herzen der Verbraucher“ erobert hat.
Klementine, so erfahren wir, war die deutsche Variante der amerikanischen Josephine, einer hageren Gestalt mit strengem Knoten, die das Wundermittel in den Staaten berühmt gemacht hatte. Mit unserer pummeligen Ariel-Lagende hatte sie so gut wie gar nichts gemein. Während sich Marketingleiter und Werbeprofis im Scheinwerferlicht beweihräu- chern, macht sich im Saal die bizarre Atmosphäre einer religösen Gemeindeversammlung breit. Sind wir am Ende bei der Mun- Sekte gelandet?
Lustig wird's erst, als Brigitte Mira, 86, auf der Damentoilette in ihren giftgrünen Schlauchrock steckenbleibt und um Hilfe rufen muß. Und als Klementine-Gatte und Regisseur Felix Hock sein neuestes Machwerk präsentiert: ein Potpourri aus Johanna Königs gesammelten Filmen. Da jodelt sich eine milchkannebepackte Almbäuerin über grüne Bergwiesen, schwingt eine üppige Blondine ihre Hüften zu Boogie-Woogie- Sound und schneidet dabei Fratzen, die an Fellinis Gefährtin Julietta Massina erinnern. Talent zur Komödie hatte sie wirklich, diese Johanna König, die „die Firma“ 1968 vom Markt wegkaufte.
Und dann sehen wir sie endlich: die zeigefingerschwingende Klementine, die der staunenden Hausfrau erklärt, daß sie keine neue Waschmaschine braucht – sondern nur ein neues Waschpulver. Eine markige Stimme aus dem Off verkündet das Ergebnis der Labortests: „Richtig sauber bei 60 Grad, Reinweichen mit Ariel.“ Wir atmen auf. Endlich zu Hause.
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