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Wenn die Welt in den Wald schlägt

Erster Spatenstich für Autobahn A 71/73 durch den Thüringer Wald: Eine lautstarke Feierstunde auf freiem Feld mit Politikern, Freibierzapfstelle und Umweltgruppen  ■ Aus Rudisleben K.-P. Klingelschmitt

Für die einen muß sie gebaut werden, „damit die Zukunft nicht auf der Strecke bleibt“, das Land brauche „neue Wege“. Mit Baubeginn der Autobahn A71/73 am Dienstag bei Rudisleben, so sprach Ministerpräsident Bernhard Vogel (CDU) auf einer Feier auf freiem Feld, sei ein „Signal für Thüringen und für Deutschland gesetzt“ worden.

Für die anderen, den BUND zum Beispiel, „weint die Erde“. Bündnis 90/Die Grünen trugen einen Sarg mit der Aufschrift: „5,5 Milliarden DM“ zu Grabe. Für Landesvorstandssprecher Olaf Möller ist die Waldautobahn von Schweinfurt nach Erfurt ein „Akt himmelschreiender ökologischer und ökonomischer Unvernunft“. Und in einem Akt der Hilflosigkeit pflanzten die UmweltschützerInnen dreihundert Bäume auf der Trasse. „Widerrechtlich“ sei das, befand Vogel – nur Stunden später wurden die Bäumchen von den Bulldozern der Baufirma Gerdum und Breuer mit Sitz in Eisenach untergepflügt.

Beide Lager hatten ihre besten Kämpfer aufgeboten. Die grünen SargträgerInnen versuchten die von Zivilpolizisten in Lederjacken gehaltenen Absperrungen zu durchbrechen. Ihre ParteigängerInnen warfen Tausende von kopierten Tausendmarkscheinen in die Reihen der wütenden PolitikerInnen. Knapp hundert Straßenwärter, die um ihre Jobs bangen, bliesen Signalhörner, die UmweltschützerInnen aus den Reihen des BUND und der Grünen Liga Thüringen e.V. pfiffen gegen die Lautsprecheranlage an. Den Kopf sollten die GegnerInnen dieses „herausragenden Verkehrsprojektes der Deutschen Einheit“ benutzen, nicht den Kehlkopf, bellte Bundesverkehrsminister Matthias Wissmann (CDU) zurück.

Mitten im Getöse wies Ministerpräsident Vogel auf den Sargträger Olaf Möller, den Exlandtagsabgeordneten der Bündnisgrünen: „Sehen sie diesen Mann dort? Der ist nicht wieder in den Landtag gewählt worden, weil er gegen die Autobahn ist.“ Gelächter auf dem Podium. Ein paar Bereitschaftspolizisten begannen, die „Störer“ (Vogel) mit sanfter Gewalt abzudrängen. Und die Straßenwärter zogen sich aus taktischen Gründen an die Freibierzapfstelle zurück. Diese Position konnte bis zum Ende der Veranstaltung gehalten werden. Der Weg war frei für Dr. Otto Wiesheu, den Bayerischen Staatsminister für Wirtschaft und Verkehr, Ex-Crashfahrer, der – stockbesoffen – mit seinem BMW einen Unfall verursacht hatte, bei dem ein Mensch zu Tode kam. „Zwei Promille!“ skandierten die Bündnisgrünen höhnisch. Ungerührt forderte Wisheu „noch mehr Autobahnen“ und sprach von einem Bündnis der Freistaaten Bayern und Thüringen, einem „Bündnis für den Fortschritt“.

Gemeint sind 257 Autobahnkilometer. Bis zur Fertigstellung im Jahre 2005 werden rund 1.635 Hektar Fläche versiegelt und 268 Hektar Wald gefällt. Eine „Katastrophe für die Natur und für den Tourismus“, sagen die Bündnisgrünen: „Das Interesse am Betrachten der durch den zunehmenden Autoverkehr abgestorbenen Bäume wird sich in engen Grenzen halten und kann zudem an zahlreichen anderen Standorten befriedigt werden“.

Die Landesregierung hält dagegen. Für jeden gefällten Baum verspricht Ministerpräsident Vogel fünf neue. Die Waldautobahn entlaste Dörfer und Städte. In der Tat: In Suhl und Ilmenau, in Rudolstadt und Saalfeld bilden die Blechkisten lange Schlangen, die Abgase verpesten die Luft. Und die Straßen sind, sechs Jahre nach der deutschen Einheit, noch immer in einem erbarmungswürdigen Zustand.

Die Bürgermeister fast aller Kommunen entlang der Trasse unterstützen denn auch den Autobahnbau. Zu DDR-Zeiten, sagt einer von ihnen, seien sie „von der Welt abgeschnitten“ gewesen, weil die sowjetischen „Tatra-Lastwagen die Steigungen im Thüringer Wald nicht geschafft“ hätten. Mit der Autobahn komme jetzt „die Welt“ in den Wald.

Vogel drückte da gerade auf den roten Knopf. Der Dampfhammer rammte den ersten Pfeiler in den Ackerboden. Tränen bei den UmweltschützerInnen. Und aus den Lautsprechern tönt penetrant der „Zillertaler Hochzeitsblues“.

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