: Ein weißes Haus neben einer roten Kirche
■ Erster Kongreß zu schwierigen Rückerstattungsfragen bei jüdischem Eigentum
Berlin (taz) – Im Berliner Kongreßzentrum am Alexanderplatz sitzen seit gestern und noch bis morgen etwa 350 Damen und Herren über dicke Papierstapel gebeugt. Es geht um die Spätfolgen des Einigungsvertrages von 1990, um die folgenreichste Entscheidung, die damals getroffen wurde. Es geht um eine vorläufige Bilanz zum Regelwerk „Rückgabe vor Entschädigung“. Und es geht um deutsch-deutsche Geschichte, denn beredet wird ausschließlich ein besonderer Teil des Vermögensgesetzes, nämlich der Tatbestand der „offenen Vermögensfragen der Verfolgten des Naziregimes“. Veranstalter dieses ersten Spezialkongresses sind die „Jewish Material Claims Against Germany, Inc. Nachfolgeorganisation“ (JCC), mit Sitz in Frankfurt/ Main, und das Berliner „Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen“ , genannt Larov.
Eine Besonderheit im Vermögensgesetz ist, daß das JCC befugt ist, Rückerstattungsanträge für das „erbenlose und unbeanspruchte Vermögen jüdischer Verfolgter“ zu stellen, also für die Menschen, die ab 1933 aus Deutschland vertrieben oder ermordet worden sind und bei denen keine Erben mehr festzustellen sind. Das JCC verkauft das ihnen von den Vermögensämtern zugesproche Eigentum und verteilt es an jüdische Einrichtungen für Verfolgte des Naziregimes – weltweit. Im Unterschied zu den zwischen der Claims Conference und der Bundesregierung im Luxemburger Abkommen von 1952 festgelegten „Wiedergutmachungszahlungen“, unterstützt die JCC-Nachfolgeorganisation auch die Holocaust-Opfer in den Ostblockländern, vor allem in Weißrußland und der Ukraine. In diesem Jahr, berichtete der Leiter des deutschen JCC-Büros, Karl Brozik, rechnet die Organisation mit einem Verkaufserlös von 80 Millionen Mark.
Nach Broziks Angaben, die vom Leiter des Larov, Hugo Holzinger, bestätigt wurden, ist die Bearbeitung der Ansprüche von NS- Verfolgten noch lange nicht abgeschlossen. Insgesamt habe das JCC seit Ende der Antragsfrist (31. 12.1992) 70.000 Restitutionsforderungen in allen fünf neuen Bundesländern geltend gemacht, entschieden sind davon etwa 20 Prozent. Die Verzögerungen gingen zum Teil auf das Konto von überarbeiteten Verwaltungen, zum Teil auf Mehrfachanmeldungen. Denn das ICC habe oft „vorsorglich Restitionsbegehren erhoben, damit Fristen nicht ablaufen“.
Wie schwierig die Recherchen nach dem rechtmäßigen Besitzer im einzelnen sind, berichtete Holzinger. Ganze Straßenzüge seien durch Kriegsbombardement oder Nachkriegsabrisse verschwunden. „Ich muß Anträge beantworten, auf denen nur steht: ,Ich hatte ein weißes Haus, das stand neben einer roten Kirche.‘“ Dennoch sehe die Rückerstattungsbilanz in Berlin etwas günstiger als in den neuen Bundesländern. Laut Holzinger seien für Ostberlin insgesamt etwa 300.000 Anträge gestellt worden, genau 56.934 (19 Prozent) von ihnen betreffen Vermögen von NS- Verfolgten. Von diesen knapp 57.000 Anträgen beziehen sich 32.000 auf die Rückgabe von Grundstücken, 17.000 auf Unternehmen und 7.600 auf die Rückerstattung sonstiger Besitztümer. 21 Prozent aller dieser Anträge seien zugunsten von NS-Verfolgten entschieden, bei den Grundstücken gar 32 Prozent. Die Anerkennungsrate bei der Rückerstattung von nichtjüdischem Eigentum liegt mit etwa 60 Prozent sehr viel höher. Bis zum Jahre 2000, so hofft das Berliner Vermögensamt, sollen alle noch ausstehenden Verfahren geklärt sein. Anita Kugler
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