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Der Angeklagte bricht sein Schweigen

Vierstündiges Ringen um „Ehre“ und „Unschuld“: Der wegen Spionage angeklagte frühere SPD-Fraktionsgeschäftsführer Wienand will das Mißtrauen der Richter zerstreuen  ■ Von Walter Jakobs

Düsseldorf (taz) – 48 Verhandlungstage hat Karl Wienand zu den gegen ihn erhobenen Spionagevorwürfen kein Wort gesagt. Doch gestern brach der frühere Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion sein Schweigen. Die „Sorge“ treibe ihn inzwischen um, so begründete Wienand vor dem 4. Strafsenat seinen Sinneswandel, daß das Gericht „nicht bereit ist, mir zu glauben“. Vor allem die letzten Beweisbeschlüsse des Düsseldorfer Oberlandesgerichtes ließen in Wienand die Befürchtung reifen, daß das Gericht ihm weit über die gebotene „richterliche Skepsis“ hinaus mit Mißtrauen begegne.

Vor allem der Auftritt einer Anzahl hochrangiger Sozialdemokraten scheint bei dem Senat nicht den Eindruck hinterlassen zu haben, den sich Wienand und seine Verteidiger erhofft hatten. Aus diesen Zeugenaussagen sind nach einem Beschluß des Senats vom 1.4.1996 bisher „nicht die entlastenden Schlüsse“ zu ziehen, die die Verteidigung zöge. Die alte Garde der SPD hatte Wienand als Zeugen benannt, um zu beweisen, daß er seine Kontakte mit dem ebenfalls in Düsseldorf angeklagten ehemaligen Stasi-Offizier Alfred Völkel eben nicht konspirativ, sondern im Auftrag von Herbert Wehner zum Nutzen der deutsch-deutschen Verständigung geführt habe.

Doch ganz gleich, ob Johannes Rau, Exkanzler Helmut Schmidt, Jochen Vogel oder Egon Bahr, von einer konkreten Beauftragung wußte niemand der hochrangigen Sozis etwas. Auch den Gesprächspartner Völkel kannten sie alle nicht. Gleichwohl, so hatte Egon Bahr dem Gericht erklärt, sei es „theoretisch möglich“, daß Wehner Wienand beauftragt habe. Er selbst habe allerdings niemals von Wienand DDR-Informationen bekommen.

Es sei für ihn „tragisch, daß alle Personen, die direkt von diesen Kontakten wußten, verstorben sind“, sagte Wienand gestern im Gericht. Er hoffe dennoch, daß der Senat durch seine Aussage „von meiner Unschuld überzeugt wird“, denn die Wahrheit sei, daß er die Gespräche mit Völkel „vertraulich und geheim, aber nicht konspirativ“ im „Auftrag von Wehner und mit Wissen von Brandt 20 Jahre lang geführt habe“. Die Bundesanwaltschaft sei einfach zu „voreingenommen“, um das anzuerkennen. Er sei „persönlich tief getroffen“, daß man ihm „Verrat aus Geldgier“ unterstelle. Die Bundesanwaltschaft wirft dem 70jährigen vor, von 1970 bis 1989 unter dem Decknamen „Streit“ für den ostdeutschen Geheimdienst spioniert zu haben. Während dieser Zeit sei es mehrmals pro Jahr zu konspirativen Treffen mit Völkel im In- und Ausland gekommen. Dafür habe er von Mitte der 80er Jahre an monatlich rund 10.000 Mark aus Ost- Berlin erhalten.

Wienand bestreitet die Treffen nicht, wohl aber deren konspirativen Charakter und jegliche Geldzahlungen. Völkel selbst und der frühere DDR-Geheimdienstchef Werner Großmann erklärten im Prozeß, Wienand sei ohne sein Wissen lediglich abgeschöpft worden. Zwei weitere Stasi-Offiziere hatten im Gericht ausgesagt, daß für den Vorgang „Streit“ seit 1986 monatlich 10.000 Mark an Völkel gezahlt worden seien. Dafür, daß dieses Geld tatsächlich an Wienand geflossen ist, gibt es weder Beweise noch stichhaltige Indizien. Großmann selbst sprach in diesem Zusammenhang von jährlichen „Reisekosten und Spesen“ in Höhe von 100.000 Mark für Völkel.

Erstmals räumte Wienand gestern ein, daß er selbst durch eigene Fehler zu Verdächtigungen beigetragen habe. So habe er bei seiner ersten Beschuldigtenvernehmung den Namen von Völkel zu spät genannt, zu wenige Treffen angegeben und nicht von sich aus die Treffen im Ausland angesprochen. Inständig bat Wienand dann das Gericht, diese „Versäumnisse“ richtig einzuordnen, denn er habe sich nach Bekanntwerden der Stasi-Tätigkeit seines langjährigen Vertrauten Völkel „in einer psychisch kaum zu ertragenden Situation befunden“.

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